Das Bild zeigt ein Modell eines Gehirns.

Bild: Robina Weermeijer / Unsplash

09.01.2025 | Meena Stavesand

Epilepsie verstehen: Neurochirurg spricht über Ursachen, Diagnose und Therapiemöglichkeiten

Epilepsie ist eine komplexe neurologische Erkrankung, die bei etwa 0,5 bis 1 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens auftritt. Bei Kindern ist es die häufigste neurologische Erkrankung. Doch nicht jeder Anfall, der umgangssprachlich oft als „Krampfanfall“ bezeichnet wird, weist auf eine Epilepsie hin. Manchmal spiegeln Anfälle nur eine vorübergehende Störung des Gehirns wider und können durch Faktoren wie Schlafentzug, niedrigen Blutzucker oder andere medizinische Ursachen ausgelöst werden.

Tatsächlich erlebt etwa jeder zehnte Mensch in seinem Leben einen einmaligen Anfall, ohne dass eine erhöhte Anfallsbereitschaft vorliegt. Dennoch ist es wichtig, wiederkehrende Anfälle ernst zu nehmen und eine genaue Diagnose zu stellen, um die richtige Therapie zu finden.

Dieser Einblick zeigt, wie vielfältig die Ursachen und Symptome sein können und warum eine frühzeitige Diagnose entscheidend für den Umgang mit der Krankheit ist. Wir haben mit Dr. med. Thomas Sauvigny, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter der Epilepsiechirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), über die Erkrankung gesprochen. Weiterführende Informationen zu Epilepsie gibt es auch im UKE-Lernangebot „Medizin. Online. Verstehen“.

Was ist Epilepsie und wie äußert sie sich?

Dr. Thomas Sauvigny: Obwohl wir eine Vorstellung davon haben, was Epilepsie ist, ist eine genaue Definition schwierig, da sie entweder relativ vage ist oder möglicherweise Dinge ausschließt, die doch vorhanden sind. Eine pragmatische Definition: Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns, die durch eine elektrische Fehlfunktion gekennzeichnet ist. Es liegt also eine elektrische Überaktivität von Nervenzellen vor, die zu epileptischen Anfällen führt. Wenn man mehrere epileptische Anfälle hat, kann man in der Regel sagen, dass man wahrscheinlich eine Epilepsie hat.

Wie erkennt man epileptische Anfälle?

Dr. Thomas Sauvigny: Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Es kann sich um eine Bewusstlosigkeit mit motorischen Entäußerungen handeln, d.h. Arme oder Beine fangen an zu schlagen, obwohl man nicht bei Bewusstsein ist. Es kann aber auch sein, dass man ein komisches Gefühl im Bauch hat oder Stimmen hört. All das kann ein epileptischer Anfall sein. Deshalb gibt es viele Definitionen oder Beschreibungen von epileptischen Anfällen.

Gemeinsam ist all diesen epileptischen Anfällen, dass es sich um eine Überaktivität oder Fehlfunktion von Nervenzellen handelt. Dies kann neurobiologische, kognitive und soziale Folgen haben. Diese Komplexität macht eine allgemeine Definition schwierig. Das ist auch der Grund, warum wir in der Diagnostik auf Klassifikationen zurückgreifen: Wenn wir die Ursache im Gehirn finden oder wenn wir gemessen haben, dass der Patient oder die Patientin Anfälle hat, dann können wir sagen: Das ist eine Epilepsie. 

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Anfälle können sich auch durch ungewöhnliche Verhaltensweisen zeigen, wie plötzliche Lachanfälle, was besonders bei einer bestimmten Epilepsieform bei Kindern vorkommt.
Dr. Thomas Sauvigny, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Reicht ein einziger epileptischer Anfall aus, um eine Epilepsie zu diagnostizieren?

Dr. Thomas Sauvigny: Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass im Kopf eine strukturelle Läsion (eine Schädigung, Verletzung oder Störung der Struktur), z.B. ein Tumor oder etwas ähnliches vorliegt, dann ist das Risiko, dass weitere Anfälle auftreten, relativ hoch. Ein in der Literatur vorgeschlagener Wert dafür ist 60 Prozent. Wir sagen also: Wenn das Risiko, weitere epileptische Anfälle zu bekommen, größer als 60 Prozent ist, dann diagnostizieren wir eine Epilepsie.

Das heißt im Umkehrschluss: Wenn jemand einen einzigen Anfall hat, der zum Beispiel durch Schlafentzug ausgelöst wurde, dann erfüllt das nicht die Kriterien zur Diagnose einer Epilepsie. Wenn wir keine andere Ursache im Kopf finden, zum Beispiel keine Läsion, dann sagen wir: Das ist keine Epilepsie, sondern ein einmaliges Ereignis – provoziert durch zu wenig Schlaf. Die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder vorkommt, ist gering, wenn man nicht wieder zu wenig schläft.

Wenn man aber z.B. einen Hirntumor hat und ein oder zwei hierdurch ausgelöste Anfälle, dann reicht dies aus, um zu sagen, dass man eine Epilepsie aufgrund des Hirntumors hat. Wir gehen dann davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle relativ hoch ist, wenn die Ursache nicht behandelt wird. Das heißt: Ein Anfall ist nicht unbedingt gleich Epilepsie, aber man muss der Ursache nachgehen.

Was sind mögliche erste Anzeichen oder Symptome?

Dr. Thomas Sauvigny: Die Diagnose von Anfällen wird besonders herausfordernd, wenn sie sich nicht als klassischer bilateraler tonisch-klonischer Anfall zeigen – jene Form, die früher als großer Krampfanfall (Grand-Mal) bekannt war, einhergehend  mit Bewusstseinsstörung und ausgeprägten motorischen Entäußerungen. Solche Anfälle werden in der Regel rasch als epileptisch erkannt oder zumindest vermutet. Doch es gibt auch Formen, die nur bestimmte Gehirnregionen betreffen, sogenannte fokale Anfälle, die sich sehr vielfältig und manchmal nur sehr diskret äußernd. Daher können die geschilderten Symptome oft fehlgedeutet werden. Prinzipiell sind immer Differentialdiagnosen (z.B. auch Synkopen) bei der Erstdiagnose zu berücksichtigen

Insbesondere bei Kleinkindern und Säuglingen ist die Erkennung von Anfällen oft schwierig, da sie sich auf vielfältige Weise äußern können – etwa durch nur sehr kurze Bewusstseinsverluste, Sprachstörungen oder das Auftreten einer sogenannten Aura, das zum Beispiel als ein ungewöhnliches Gefühl in der Bauchregion beschrieben wird. Manche Anfälle treten ausschließlich im Schlaf auf und bleiben unbemerkt, bis am nächsten Tag Symptome wie Muskelkater, Erschöpfung oder kognitive Einschränkungen auffallen. Anfälle können sich auch durch ungewöhnliche Verhaltensweisen zeigen, wie plötzliche Lachanfälle, was besonders bei einer bestimmten Epilepsieform bei Kindern vorkommt. Visuelle Phänomene, wie Flimmern oder Blitze, sind ebenfalls mögliche Anzeichen mancher Epilepsieformen.

Diese Vielseitigkeit macht die Erkennung von Anfällen besonders komplex. Da theoretisch jede normale Gehirnfunktion durch einen Anfall beeinträchtigt werden kann, gibt es unzählige Erscheinungsformen. Deshalb gibt es keine allgemeingültige oder pauschale Beschreibung eines Anfalls und auch unter Expert:innen herrscht häufig Uneinigkeit über die korrekte Benennung und Interpretation.

Gehen Betroffene dann relativ spät zum Arzt, weil sie die Symptome nicht als schwerwiegend wahrnehmen oder die Anfälle nicht bemerken, weil sie eben im Schlaf auftreten?

Dr. Thomas Sauvigny: Ja, das kann vorkommen. Natürlich gibt es Epilepsieformen, die sofort auffallen, entweder durch Begleiterkrankungen oder weil die Anfälle so eindeutig sind. Nicht selten bleiben Epilepsien aber auch jahrelang unbemerkt, weil die Symptome mit anderen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen verwechselt werden. Manchmal dauert es Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt und die genaue Ursache der Epilepsie gefunden wird.

Wird die Ursache einer Epilepsie immer gefunden?

Dr. Thomas Sauvigny: Es gibt Fälle, in denen die Ursache unklar ist. Früher sprach man von kryptogenen Epilepsien, wenn keine eindeutige Ursache gefunden werden konnte. Wir haben eine internationale Klassifikation der Epilepsien, die die Anfälle nach ihrer Entstehung einteilt:

  • Fokale Anfälle, die nur in einem bestimmten Teil des Gehirns auftreten,
  • generalisierte Anfälle, die das ganze Gehirn betreffen, und
  • Anfälle unbekannter Ursache.

Die Ursachen der Epilepsie sind einerseits genetische Faktoren und/oder strukturelle Veränderungen im Gehirn. Andererseits gibt es auch infektiöse oder autoimmune Ursachen um die häufigsten zu nennen.

Wie läuft eine Diagnose ab? Muss immer ein MRT gemacht werden?

Dr. Thomas Sauvigny: Ein MRT ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik, aber erst der zweite oder dritte Schritt. Der erste Schritt ist immer die Anamnese, also die genaue Befragung der Betroffenen und deren Angehörigen. Dann macht man in der Regel ein Elektroenzephalogramm (EEG), um die Hirnströme zu messen. Ein kurzes EEG zeigt jedoch nicht immer Anfälle. Deshalb kann es notwendig sein, das EEG über mehrere Tage durchzuführen und die Patientinnen und Patienten mit Videokameras zu überwachen. Oft bringen auch Angehörige Handyvideos mit, die helfen, die Anfälle zu dokumentieren. Es folgen weitere Untersuchungen wie eine Kernspintomographie oder eine Nervenwasseranalyse, um die Ursache der Anfälle herauszufinden. Darüber hinaus gibt es in Epilepsiezentren noch viele weitere, spezielle Untersuchungen, die durchgeführt werden können.

Wie sieht die Therapie aus?

Dr. Thomas Sauvigny: Das hängt von der Art der Epilepsie ab. Die Haupttherapie besteht zunächst aus Medikamenten, die die Anfälle unterdrücken. Liegt eine strukturelle Ursache wie ein Tumor oder eine Fehlbildung vor, kommt oft auch eine Operation in Frage. Es gibt auch neurochirurgische Eingriffe, bei denen Hirnregionen stimuliert werden, um die Anfallsbereitschaft zu verringern, z. B. der Vagusnervstimulator. Bei bestimmten Epilepsien helfen auch Diäten oder experimentelle Therapien.

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Epilepsie wirkt sich mitunter stark auf das soziale Leben der Betroffenen aus. Ein LKW-Fahrer, der an Epilepsie erkrankt, kann beispielsweise seinen Beruf nicht mehr ausüben.
Dr. Thomas Sauvigny, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Es geht also in erster Linie darum, die Anfälle etwa durch Medikamente zu reduzieren?

Dr. Thomas Sauvigny: Genau, wir wollen die Anfälle durch Medikamente so weit wie möglich abschwächen, reduzieren oder wenn möglich ganz verhindern. Leider gelingt uns das bei etwa einem Drittel der Patientinnen und Patienten nicht, das heißt, es kommt trotz der Medikamente zu Anfällen. Aber umgekehrt: Bei vielen Betroffenen gelingt es, die Anfälle zu unterdrücken. Das hängt von der Art der Epilepsie ab. Wichtig ist auch, dass bei bestimmten Anfallsformen, die generalisiert auftreten, ein relevantes Risiko besteht, an einem Anfall zu sterben (sog. SUDEP). Dies ist vergleichbar mit dem plötzlichen Kindstod. Das ist natürlich ein extremes Beispiel, aber es zeigt, dass Epilepsie keine ungefährliche Krankheit ist. Auch Anfälle, die nicht tödlich verlaufen, können das Gehirn weiter schädigen und die Krankheit verschlimmern. Deshalb sind Medikamente wichtig.

Darüber hinaus gibt es psychosoziale und neuropsychologische Behandlungsmöglichkeiten, denn die Krankheit wirkt sich mitunter stark auf das soziale Leben aus. Ein LKW-Fahrer, der an Epilepsie erkrankt, kann beispielsweise seinen Beruf nicht mehr ausüben. Das ist ein ganz anderes Problem als bei einem Vierjährigen, bei dem es dafür viel mehr um die kognitive Entwicklung geht. Es gibt also viele verschiedene Ansätze, die individuell angepasst werden.

Ist Epilepsie heilbar oder eine Krankheit, mit der man leben muss?

Dr. Thomas Sauvigny: Grundsätzlich ist Epilepsie heilbar, aber das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Bei manchen Patientinnen und Patienten kann zum Beispiel ein Blutschwämmchen im Gehirn entfernt werden, und danach treten keine Anfälle mehr auf. Nach einigen Jahren können dann die Medikamente reduziert oder ganz abgesetzt werden. In solchen Fällen spricht man von Heilung. Betrachtet man aber alle Epilepsiepatienten, so handelt es sich in den meisten Fällen um eine chronische Erkrankung, die einen ein Leben lang begleitet. Das heißt nicht, dass man immer Anfälle hat, aber viele Menschen müssen ihr Leben lang Medikamente einnehmen, um anfallsfrei zu bleiben.

Spielen Stress, Ernährung und andere Faktoren eine Rolle bei Epilepsie?

Dr. Thomas Sauvigny: Stress an sich verursacht kausal keine Epilepsie, aber er kann die Wahrscheinlichkeit eines Anfalls erhöhen, insbesondere wenn andere Faktoren wie Schlafmangel oder Alkoholkonsum hinzukommen. Diese Faktoren beeinflussen die Erregbarkeit der Nervenzellen und können bei einer bestehenden Epilepsie einen Anfall auslösen. Daher ist es wichtig, auf diese Dinge zu achten, um das Risiko zu verringern. Zum Thema Ernährung: Eine spezielle Diät kann bei bestimmten Epilepsieformen helfen, ist aber nicht bei allen Epilepsieformen sinnvoll.

Wie gehen Menschen mit Epilepsie mit psychischen oder sozialen Faktoren um? Das ist sicher eine große Belastung.

Dr. Thomas Sauvigny: Ja, das ist ein großes Thema. Epilepsie ist eine chronische Erkrankung, die das soziale Leben stark beeinträchtigen kann. Vor einigen hundert Jahren galten Menschen mit Epilepsie noch als vom Teufel besessen oder schwachsinnig. Diese Stigmatisierung hat sich geändert, aber Epilepsie ist immer noch eine Krankheit, die mit Vorurteilen behaftet ist. Für Menschen, die beruflich eingeschränkt sind, wie zum Beispiel Lastwagenfahrer, bedeutet die Diagnose oft das Ende ihrer bisherigen Tätigkeit. Bei Kindern geht es vor allem um die schulische und kognitive Entwicklung. Viele Patientinnen und Patienten leiden auch an psychischen Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, die entweder durch die Epilepsie selbst oder durch die Belastungen der Erkrankung verursacht werden. Es gibt eine hohe Rate an sogenannten Komorbiditäten, also dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer Erkrankungen.

In diesem Lernangebot stellen wir verschiedene Erkrankungen und deren Behandlung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in Form von kurzen Filmen und informativen Texten auf einer projekteigenen Webseite vor.  

Zum Lernangebot

Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?

Dr. Thomas Sauvigny: Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen, die sehr hilfreich sind. Wichtige Anlaufstellen sind auch die spezialisierten Epilepsiezentren. Das Epilepsiezentrum Hamburg zum Beispiel vereint drei Krankenhäuser: Das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf, das UKE und das Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. Dort gibt es auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die sich um die Vereinbarkeit von Epilepsie und Beruf kümmern, und spezielle Arbeitsplätze für Menschen mit Epilepsie. Diese Zentren bieten ebenfalls neuropsychologische Betreuung und Beratung für den Alltag an.

Ein Ausblick: Gibt es derzeit innovative Behandlungsmethoden oder Ansätze, die noch nicht weit verbreitet sind?

Dr. Thomas Sauvigny: Es gibt viele neue Ansätze, die sich in der Entwicklung befinden – sowohl neue Medikamente wie auch innovative Therapieverfahren wie z.B. gentherapeutische Ansätze. Auch in der Neurochirurgie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan. Komplexere Fälle können heute besser operiert werden. Die Diagnostik hat sich durch invasive Methoden wie das Einsetzen von Elektroden ins Gehirn verbessert. Ein weiteres spannendes Gebiet ist die Genetik. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr genetische Ursachen für Epilepsien entdeckt, auch für solche, bei denen man bisher nicht von genetischen Ursachen ausging. In Zukunft wird es wahrscheinlich neue medikamentöse Ansätze geben, die gezielt auf bestimmte Mutationen wirken.

Forschung wirkt. Je mehr wir über die Krankheit wissen, desto besser können wir sie behandeln.

Dr. Thomas Sauvigny: Ja, generell hat die genetische Forschung in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht. Es gibt aber auch viele andere Bereiche, in denen sich einiges getan hat, zum Beispiel in der invasiven und bildgebenden Diagnostik. Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Disziplinen, die dazu beitragen, dass wir die Krankheit besser verstehen und behandeln können.

Über Dr. Thomas Sauvigny

Dr. Thomas Sauvigny ist Facharzt für Neurochirurgie sowie geschäftsführender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Sein Medizinstudium hat der gebürtige Koblenzer an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen absolviert. Seit 2012 ist Dr. Thomas Sauvigny am UKE tätig.

Eine Dan Bau Spielerin steht an ihrem Instrument

So sieht eine Dan Bau aus.

06.01.2025 | Katrin Schröder

Dan Bau: Ein Instrument aus Vietnam mit nur einer Saite, aber faszinierendem Klang

Dass die Lernangebote der HOOU vielfältig sind, wird spätestens bei einem Blick auf das folgende, englischsprachige Lernangebot klar: „Learning Dan Bau“. Und nein, hier wird nichts gebaut, sondern eine Einführung in das Spielen des wohl bedeutendsten Musikinstruments Vietnams gegeben.

Tam Thi Pham ist Multimedia-Komponistin und hat sich mit einem spannenden vietnamesischen Instrument auseinandergesetzt. Die Dan Bau hat nur eine Saite, erzeugt aber dennoch vielfältige Töne. In unserem Artikel erklären wir, wie die Dan Bau aufgebaut ist und wie man sie spielt. Außerdem führen wir dich zu einer Playlist, die den einzigartigen Klang verdeutlicht. Reinhören lohnt sich!

Erinnert an einen Kürbis

Die Dan Bau (auf Vietnamesisch: Đàn bầu) misst insgesamt rund einen Meter und wird meist aus Holz gefertigt. In selteneren Fällen besteht das Instrument aus Bambus. Die Form erinnert ein wenig an einen langen Kürbis. Manche Instrumente sind zudem mit Blumen und traditionellen Mustern verziert. Charakteristisch für das Aussehen der Dan Bau ist auch der Stab, der sich seitlich am Instrument befindet. Er hat einen maßgeblichen Einfluss auf die erzeugte Melodie. Dazu aber später mehr.

Charakteristisch für die Dan Bau ist die längliche Bauform und der Stab am Ende des Instruments.

Mit Dozentin Ngo Tra My die Dan Bau kennen lernen

Tam Thi Pham, Studentin für Multimedia Composition an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT), leitet das von ihr initiierte Lernangebot über die Dan Bau. Gemeinsam mit HOOU@HfMT-Projektkoordinator Goran Lazarevic übersetzte sie bisher unbekannte Fachbegriffe aus dem vietnamesischen ins Englische. Mit ihrer Arbeit leisten sie einen wichtigen Teil für eine sichtbarere vietnamesische Kultur und ermöglichen damit allen Interessierten einen leichteren Zugang zu einem faszinierendem Instrument.

Momentan enthält das Lernangebot sechs verschiedene Videoeinheiten. In diesen Einheiten führt uns Ngo Tra My, Dozentin an der Vietnam Academy of Music, an die grundlegenden Techniken und Besonderheiten des Instruments heran. Als erstes erfahren wir, dass man Dan Bau in drei unterschiedlichen Positionen spielen kann: Im Stehen, Sitzen oder auf dem Boden hockend. Vor dem Spielen müssen wir die Saite zunächst auf ein „C“ stimmen. DIE Saite? Richtig – die Dan Bau hat nur eine Saite. Doch eintönig klingt das Instrument nicht. Die Saitenspannung verändert man durch das Bewegen eines elastischen Stabes, den man mit der linken Hand bedient. Im Zusammenspiel mit der Zupfposition können wir so die Tonhöhe verändern und sehr unterschiedliche, gleitende Töne erzeugen. Zum Zupfen der Saite nutzt man, ähnlich wie bei einer Gitarre, eine Art Plektron – ein zurechtgeschnittenes Stück Hartholz.

Ngo Tra My erklärt, dass man die Dan Bau in drei unterschiedlichen Positionen spielen kann.

Der Ton macht die Musik

Anders als einige andere Saiteninstrumente hat die Dan Bau kein Griffbrett, an dem sich die Spielenden orientieren können, um die richtigen Töne zu treffen. Zudem verändert die Handgröße die Abstände auf der Saite. Ngo Tra My empfiehlt deshalb, dass sich jede*r Spieler*in vor dem Spielen die sechs wichtigsten Handpositionen auf dem Instrument markieren sollte. Daraus ergibt sich auch schon eine erste gute Übung: Die Grundtöne treffen und damit eine kleine Melodie erzeugen. Vier verschiedene Aufgaben stehen in dem Lernangebot dafür bereit.

Vielfältige Klänge durch veränderte Spannung

Wenn die Grundtöne einmal sitzen, gilt es, den Stab richtig einzusetzen. Aber Vorsicht! Hier braucht es Gefühl, denn biegt man den Stab etwas zu sehr, dann kann die Saite reißen. In einem angenehmen Erklärtempo zeigt uns Ngo Tra My in den folgenden Videoeinheiten, wie vielfältig die Dan Bau klingen kann und welche Techniken wichtig sind. Hilfreich sind dabei auch die eingeblendeten Noten, die das Gespielte visualisieren. Wenn man alle sechs Videolektionen durcharbeitet und die dazugehörigen Übungen beachtet, dann hat man am Ende des Kurses einen schönen Einblick in das Spielen eines faszinierenden Instruments gewonnen.

Es braucht keine Vorkenntnisse, um das Instrument zu verstehen

„Learning Dan Bau“ ist ein interessantes Lernangebot für alle Musikbegeisterten, die Lust haben, sich an ungewohnten Klängen zu versuchen. Die Erklärvideos sind in einem guten Tempo gehalten und holen auch Interessierte ohne Vorkenntnisse ab. Hilfreich ist es, Noten lesen zu können, und wichtig ist es auch, den Erklärungen mit englischen Untertiteln folgen zu können. Zudem sollte man natürlich eine Dan Bau zur Verfügung haben, um das Spielen auch praktisch üben zu können. Wer also Lust darauf hat in eine andere Kultur einzutauchen – denn Musik ist ein wunderbarer Ausgangspunkt, um die vietnamesische Kultur kennen zu lernen – dem sei das Lernangebot „Learning Dan Bau“ ans Herz gelegt.

Playlist: Lausche der Musik

Mit dem Lernangebot zu diesem spannenden Instrument möchten wir auch verschiedene vietnamesische Volkslieder und traditionelle Lieder vorstellen, damit du dich mit der vietnamesischen Musik vertraut machen kannst. Das Anhören der Musik wird dir helfen, das Dan Bau besser zu verstehen und eventuell auch selbst zu spielen.

Das Lied „Con duyen“ (übersetzt: Der Faden des Schicksals ist noch hier) ist ein Quan Ho-Volkslied aus Bac Ninh, einer Region in Nordvietnam. In dem Song geht es um Verliebte, die sich auffordern, die Chance zu ergreifen und um ihre Hand anzuhalten und die Jugend nicht unbemerkt an sich vorüberziehen zu lassen. Die Musik ist charmant, jugendlich und fröhlich. Es wird gespielt von Ngo Tra My.

Das Lied Bèo dạt mây trôi (übersetzt: Schwebende Blumen, vorbeiziehende Wolken) handelt von einer Frau, die auf ihren Mann wartet – vergeblich. Den Song spielt Tam Thi Pham.

Hier geht es zu weiteren Liedern in der Playlist.

Das Bild zeigt zwei Hände, die einander fast berühren. Das eine ist eine menschliche Hand, das andere eine Roboterhand.

Bild: MMKH/KI-generiert

02.01.2025 | Meena Stavesand

Ethik-Professor über KI: Warum wir als Gesellschaft Technologien besser verstehen sollten  

In den Maschinenraum der KI-Entwicklung möchte Prof. Dr. Maximilian Kiener die Nutzerinnen und Nutzer seines Lernangebots „Ethics by Design“ entführen. Warum es der Ethik-Professor und Leiter des „Institute for Ethics in Technology“ an der TU Hamburg für nötig hält, dass mehr Menschen verstehen, wie KI funktioniert und wie sie unser Leben beeinflusst, erklärt er uns im Interview. Spannende Themenfelder sind für ihn: Daten, Demokratie, Fairness, Verantwortung und Sicherheit. Aber es geht auch um die existenzielle Frage, welche Rolle eigentlich der Mensch noch spielt, wenn immer mehr Aufgaben an die KI gehen.

Prof. Kiener, welche Frage beschäftigt Sie aktuell am meisten, wenn es um KI und Ethik geht?

Prof. Dr. Maximilian Kiener: Ich sehe, wie leistungsfähig neue KI-Systeme sind. Es sind unheimlich komplexe Systeme, die mit uns sprechen, sie ersetzen teilweise sogar unsere menschlichen Ärztinnen und Ärzte. Und die Entwicklung zeigt nur nach oben. Ich frage mich also: Wie können wir es schaffen, dass diese so leistungsfähigen KI-Systeme ethischen Standards genügen, dass Macht und Werte Hand in Hand gehen können, dass wir eine technologische Innovation haben, die nachhaltig im doppelten Wortsinn ist? Damit meine ich, dass sie nachhaltig ist, weil es möglich ist, sie in die Zukunft zu tragen, aber auch, weil sie es wert ist, sie in die Zukunft zu tragen.

Ethische Fragestellungen sollten also bei der KI-Entwicklung direkt mitgedacht werden?

Kiener: Ja, keine Technologie ist vollkommen neutral. Es gibt immer Hintergrund- oder Wertannahmen, die die Technologie beeinflussen. Künstliche Intelligenz ist hier keine Ausnahme. Im Gegenteil, KI scheint in besonderem Maße durch ethische Weichenstellungen formbar. Wir müssen uns daher der Frage annehmen, wie wir Ethik effektiv in die KI integrieren.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Kiener: Wenn KI in der Arbeitswelt beim Einstellungsprozess zum Einsatz kommt, müssen wir dafür sorgen, dass bestimmte Personengruppen nicht systematisch ausgeschlossen werden. Wenn KI in autonomen Fahrzeugen eingesetzt wird, müssen wir Sicherheit von Anfang an mitdenken. Und wenn KI anfängt, unseren gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen, müssen wir über das Verhältnis von Technologie und Demokratie nachdenken.

Wie kann das gelingen?

Kiener: Ethik muss als Disziplin von der bloßen Resultatsbewertung in eine Prozessbegleitung der KI-Entwicklung überführt werden. Ethik soll nicht der Zeigefinger oder der Zaungast sein, der sagt: „Nein, das dürft ihr nicht!“ Oder: „Ja, das geht schon.“ Sie soll die Begleitung in allen Entwicklungsschritten einer KI sein; begonnen mit der Frage, wofür brauchen wir diesen Algorithmus überhaupt? Was wollen wir damit erreichen? Welche Daten wollen wir sammeln? Wie dürfen wir diese Daten eigentlich sammeln? Wie können wir testen, ob ein KI System nicht nur einer Personengruppe zugute kommt, sondern allen?

Wie kann man sich diesen Prozess bildlich vorstellen?

Kiener: Diesen Prozess kann man sich ein bisschen wie die Zubereitung eines guten Essens vorstellen. Es gibt verschiedene Zutaten, bestimmte Zubereitungsprozesse: Man schneidet etwas, man rührt um, man knetet und schiebt vielleicht auch etwas in den Ofen. Und im Grunde entstehen bei jedem Schritt andere oder neue Fragen. So ist es auch in der Technologie: die verschiedenen „Zubereitungsschritte“ in der Küche entsprechen verschiedenen Entwicklungsstadien in der KI-Entwicklung. Und auch in letzterer gibt es so etwas wie Zutaten, beispielsweise Daten, und Verarbeitungsprozesse wie etwa maschinelles Lernen. Exzellente Technologie zeigt ethische Sensibilität und Knowhow in all diesen Stadien, ebenso wie ein Maître de Cuisine den kulinarischen Prozess allumfassend versteht.

ChatGPT ist wahrscheinlich das bekannteste KI-Tool. Der Chatbot spuckt in Sekundenschnelle Antworten aus, richtig sind die allerdings nicht immer. (Bild: Emiliano Vittorios/Unsplash)

Stichwort: Generative KI. Sehr viele Menschen können sie unmittelbar erleben. Dennoch gibt es Schlagzeilen wegen diskriminierender Antworten. Ethische Fragestellungen wurden wohl zu wenig mitgedacht. Wie lässt sich das beheben?

Kiener: Die Zugänglichkeit zu dieser Technologie sehe ich zunächst positiv. Während es vor wenigen Jahren für viele Menschen noch Science-Fiction war, können wir nun alle im Alltag erleben, welche Leistungen und welchen Mehrwert KI leisten kann. Aber es ist eben auch eine Herausforderung und mitunter ein Spiegel bestehender gesellschaftlicher Vorurteile und Probleme. Wir müssen uns in einem umfassenden gesellschaftlichen Diskurs fragen, wie wir neben den Ressourcen akademischer Ethik auch die Erfahrung der Menschen mit dieser Technologie als Feedback effektiv nutzen können, um – wie wir das an der TUHH sehen – auch Technik für den Menschen zu schaffen.

Wie finden Sie die Entwicklung von KI generell?

Kiener: Insgesamt sehe ich die Entwicklung von KI positiv, es ist eine Art Demokratisierung der Technologie, weil viele Menschen einen Zugang dazu bekommen. Aber es geht auch eine sehr große Macht von Unternehmen aus. Diese Technologien werden oftmals nicht nur, oder nicht einmal primär, an Universitäten oder öffentlichen Forschungseinrichtungen entwickelt, sondern von einer Handvoll sehr mächtiger Technologieunternehmen. Von den zehn größten Unternehmen der Welt spielen sieben bei der KI-Entwicklung mit. Einige sprechen daher bereits von „privaten Supermächten“, die dann beispielsweise im Bereich Social Media bestimmen könnten, was eigentlich als Meinungsfreiheit bei uns zählt, was man sagen darf. Doch das sind Aufgaben, die klassischerweise dem Staat zukommen.

https://www.youtube.com/watch?v=NhfJPWrlqmc
Dieses Video zeigt die Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Maximilian Kiener an der TU Hamburg mit spannenden Beiträgen von etwa Prof. Dominic Wilkinson und Dr. Andrew Graham (beide Oxford).

Wie könnte das gelingen?

Kiener: Ein wichtiger Schritt sind sicherlich Regulierungen. In diesem Jahr gab es beispielsweise die Verabschiedung des AI Act der EU. Was ich ebenfalls sehr begrüße, ist die Bemühung, die Erklärbarkeit von KI-Systemen zu stärken und auch den Menschen Rechte zu geben, wenn KI-Systeme in wichtige Entscheidungen involviert sind, also etwa in Fragen, ob ich den Job, den Kredit oder das Krankenhausbett bekomme.

Sie meinen eine höhere Transparenz der KI-Entscheidungen, also dass mehr Menschen einen Einblick bekommen, was da hinter den verschlossenen Türen der Technologieunternehmen passiert?

Kiener: Ja, so könnte man das sagen. Allerdings könnte der Begriff Transparenz in diesem Zusammenhang oftmals nur darauf hinweisen, dass es eine Auskunft darüber gibt, dass KI verwendet wird. „Erklärbarkeit“ geht einen Schritt weiter und versucht zu erläutern, wie die konkreten Entscheidungen getroffen werden.

Wie können wir Ethik in die Technologie bringen? Was ist Ethik eigentlich genau?

Kiener: Ethik ist eine akademische Disziplin, die Fragen danach stellt, wie wir gut und richtig handeln, wie wir gut leben wollen als Individuum und als Gemeinschaft. Es geht dabei aber nicht darum, nur Checklisten abzuhaken oder Kommissionen einzusetzen. Es ist eine wirkliche Reflexion: gemeinsam nachdenken – mit den Fakten, die wir haben, und mit den Werten, denen wir uns verbunden fühlen wie Freiheit und Gleichheit.  Aus den Schlussfolgerungen daraus ergeben sich Empfehlungen für den Umgang mit Technologie. Dabei gibt es einige Kernthemen in der KI, die uns vor Herausforderungen stellen.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Kiener: Im Kern vieler Fragen gibt es ein Datenproblem, da KI im Training oftmals sehr viele Daten benötigt. Meistens werden wir gefragt: Stimmen Sie der Datennutzung zu? Dies geschieht in vielen Interaktionen im Internet. Doch niemand liest wohl je alle ‚terms and conditions‘ wirklich durch. Also müssen wir uns die Frage stellen, ob diese Art der Zustimmung noch ein geeignetes Instrument ist, unsere Daten hinreichend zu schützen oder ob wir diesen Bereich täglicher Praxis grundlegend neu bewerten müssen. Wir müssen uns also damit beschäftigen, wie wir unsere personenbezogenen Daten schützen, die die KI oftmals braucht, oder gegebenenfalls die Bereiche der KI beschränken. Eine weitere Herausforderung ist, dass die Verarbeitung und Nutzung großer Datenmengen, einschließlich personenbezogener Daten, nicht nur unser individuelles Leben betrifft, sondern auch unsere Demokratie angreifen kann.

Der Cambridge-Analytica-Skandal hat gezeigt, dass Datenmissbrauch auch zum Risiko für demokratische Wahlen werden kann. Was passiert also mit unserer Demokratie, mit unserer Gesellschaft, wenn Daten es ermöglichen, Verhalten präzise vorauszusagen und ebenso präzise Einfluss auf Wählerverhalten zu nehmen? Welche Art von Macht entsteht hier und entscheidet diese über unser Zusammenleben als Gesellschaft? Ein weiterer schwieriger Bereich ist die Frage nach der Fairness; auch die beste KI wird nicht perfekt sein. Immer dort, wo die KI auf Grundlage vergangener Daten lernt, lernt sie auch die bestehenden Vorurteile in unserer Gesellschaft, führt diese fort oder verschärft sie sogar. 

Wer entscheidet darüber, ob jemand zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Mensch oder bald doch KI? Wie garantieren Unternehmen Bewerberinnen und Bewerbern dann, dass niemand diskriminiert wird? (Bild: Gabrielle Henderson/Unsplash)

Wir haben also das Problem mit den Daten und einer möglichen Einflussnahme auf unsere Demokratie und die kaum vorhandene Fairness von KI-Systemen, weil sie zu viele diskriminierende Daten enthält. Gibt es einen weiteren Punkt?

Kiener:  Ein zentrales Element ist für mich die Frage der Verantwortung. Gerade weil KI so viele Bereiche unseres Lebens betreffen wird, ist es wichtig, dass die Verteilung der Verantwortung klar geregelt ist. Ein Aspekt der Verantwortung erscheint mir dabei besonders wichtig, nämlich der des Ablegens von Rechenschaft. Entwickler:innen und Unternehmen, aber auch Politiker:innen und Nutzer:innen müssen Klarheit darüber haben, welche Pflichten sie bei der Entwicklung, Regulierung und Nutzung von KI haben und inwieweit sie anderen dafür Rechenschaft schuldig sind.

Das stimmt. Dann geht es um sehr existenzielle Fragen.

Kiener: Ja. Was macht uns Menschen eigentlich aus? KI erledigt viele Aufgaben für uns. Dennoch sind Menschen immer noch wichtig. Worin aber genau besteht das, was uns als Menschen ausmacht? Ist es Kreativität, Empathie, Moralität? Und wie können wir diese Aspekte im technologischen Fortschritt erhalten und weiterentwickeln?

Sie haben ein Lernangebot für die HOOU konzipiert. „Ethics by Design“ dreht sich auch um KI. Worum geht es?

Kiener: „Ethics by Design“ ist der Versuch, Ethik in alle Entwicklungsphasen leistungsstarker KI zu integrieren. In unserem Lehrangebot zeigen wir, wie das an verschiedenen Punkten möglich ist, welche Gestaltungsspielräume wir in der Entwicklung verschiedener Technologien haben können, also auch in welcher Beziehung Regulation und Innovation stehen.

    Learn why ethics must be part of the technology development process from the start    

Zum Lernangebot

Wie hilft Ihr Lernangebot dabei?

Kiener: Wir haben Szenarien, die die Lernenden aus ihrem Alltag kennen und in unserem Lehrangebot noch einmal aus ethischer Perspektive durchspielen können. Dies könnte beispielsweise unsere Nutzung von Smartphones betreffen, wo wir oft der Sammlung von Daten zustimmen, oder auch unsere Interaktion mit ChatGPT. Wir beginnen mit Bekanntem und führen die Lernenden sozusagen in den „Maschinenraum“ der KI,  also in die Entwicklung, und zeigen, wie es eigentlich zu den uns bekannten Situationen gekommen ist, ob diese so sein müssen und wie wir über mögliche Alternativen ethisch nachdenken können. Im Grunde ist es wie eine Dokumentation über Nahrung. Wir essen jeden Tag, aber wir wissen nicht genau, wie unser Essen eigentlich hergestellt wird. Aber wenn wir es wissen, essen wir bewusster. Wir wollen also auch hier ein größeres Bewusstsein für die Vorgänge der KI schaffen.

Unsere Lerninhalte gehen über das bloße Lesen und Konsumieren hinaus. Sie ermöglichen aktives Entscheiden in konkreten Fällen und machen so die Gestaltungsmöglichkeiten in der Technologie erlebbar.

Sie sind als Ethik-Professor neu an der TU Hamburg und beschäftigen sich dort mit dem Zusammenspiel von Technologie und Ethik. Was wäre Ihre Idealvorstellung für dieses Feld?

Kiener: Meine große Hoffnung ist, Ethik zum Innovationsmotor zu machen. Ich wünsche mir, dass Ethik es schafft, Technologie nachhaltig voranzutreiben und dabei unsere Werte reflektiert. Ich bin ebenso gespannt auf die zukünftige Wechselwirkung zwischen Ethik und Technologie, besonders inwiefern Erkenntnisse eines Bereichs den Fortschritt im jeweils anderen beeinflussen können.

Zur Person:

Prof. Dr. Maximilian Kiener ist Juniorprofessor für Philosophie und Ethik in der Technik an der TU Hamburg, wo er das Institut für Ethik in der Technik leitet. Er hat sich auf Moral- und Rechtsphilosophie spezialisiert, mit einem besonderen Fokus auf Einwilligung, Verantwortung und KI. Außerdem ist er assoziiertes Mitglied der Philosophischen Fakultät der Universität Oxford, an der er von 2015 bis 2022 tätig war, sowie assoziierter Forschungsstipendiat am Institut für Ethik der Künstlichen Intelligenz in Oxford. Zuvor erwarb er den BPhil (2017) und DPhil (PhD / 2019) in Philosophie an der University of Oxford und arbeitete als Extraordinary Junior Research Fellow (2019-2021) und als Leverhulme Early Career Fellow in Oxford (2021-2022). Neben seiner akademischen Forschung ist er auch als Ethikberater für politische Entscheidungsträger und Industriepartner tätig, insbesondere in den Bereichen digitale Kommunikation, gute medizinische Praxis und verantwortungsvolle künstliche Intelligenz.

Eine Frau steht vor einem Supermarktregal und greift zu.

Bild: Joshua Rawson-Harris

27.12.2024 | Meena Stavesand

Nudging: Wie kleine Schubser im Supermarkt zu gesunder Ernährung führen können

Gesunde Ernährung beginnt oft mit kleinen Entscheidungen – doch was wäre, wenn uns diese Entscheidungen leichter gemacht würden? Dank Nudging, einem cleveren Konzept der Verhaltensökonomie, werden wir beispielsweise im Supermarkt subtil zu besseren Lebensmitteln „geschubst“. Erfahre, wie diese unsichtbaren Anstupser funktionieren und wie sie dir helfen können, gesündere Entscheidungen zu treffen – ganz ohne Zwang!

Stell dir vor, du gehst hungrig in den Supermarkt. Du schlenderst durch die Gänge, die Farben und Formen der verpackten Lebensmittel blitzen dir entgegen. Der Arbeitstag war lang und jetzt ist es ja auch schon fast Abend, heißt also: Du hast eigentlich keine Lust, aufwendig den Kochlöffel zu schwingen. Was tun?

Deine Hand wandert in Richtung Tiefkühlpizza – doch halt! Direkt hinter der Tiefkühltruhe steht in Augenhöhe ein schön arrangiertes Regal mit frischen Salaten. Der bunte Mix aus grünen Blättern, roten Tomaten und gelber Paprika sieht plötzlich doch recht verlockend aus. Du nimmst den Salat in die Hand und legst die Pizza wieder weg. Ein kleiner Anstupser – ein Nudge, wenn man so will – hat deine Entscheidung beeinflusst, ohne dass dir jemand gesagt hat, was du zu tun hast.

Trotz Schubser hast du immer die freie Wahl

Genau darum geht es beim Nudging. Es ist eine Art, das Verhalten von uns Konsumentinnen und Konsumenten sanft zu lenken, ohne die Wahlfreiheit zu nehmen. Du hast dich für die gesündere Option entschieden, weil sie passend präsentiert wurde: Sie war nicht nur leicht zugänglich, sondern sah auch noch ansprechend aus. Dabei hast du gar nicht gemerkt, dass du „gestupst“ wurdest – und genau das macht Nudging so spannend.

Im Kontext der Ernährung kann Nudging eine entscheidende Rolle spielen, um uns zu helfen, gesündere und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Denn seien wir mal ehrlich: Wenn die gesunde Wahl die einfache Wahl ist, warum sollten wir sie nicht treffen? Genau darum geht es auch in unserem kostenlosen Lernangebot „Nudging in der Ernährung“ der HAW Hamburg, das das Prinzip detailliert erläutert. Es gibt auch bereits eine Fortsetzung des Kurses: Das Lernangebot „Nudging für mehr Gesundheit und Nachhaltigkeit“ ist die Weiterentwicklung und ein innovatives Schulungskonzept der HAW Hamburg, das Multiplikatoren:innen dabei unterstützt, Nudging als Maßnahme zur Stärkung der Gesundheit und Nachhaltigkeit einzusetzen.

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„Nudging“ bedeutet im Englischen „anstupsen“. In der Wissenschaft stehen diese „Anstupser“ für kleine Impulse, die das Verhalten beeinflussen – leicht und unkompliziert. Nudging wirkt! Das haben Studien in den vergangenen zehn Jahren belegt. Eines ist dabei aber ganz wichtig: Solche Anstupser dürfen nur eingesetzt werden, um das Wohl des Einzelnen oder der Gesellschaft zu fördern.

Die Begründer des Nudging-Konzepts

Die Idee des Nudging wurde von zwei Experten auf ihrem Gebiet entwickelt: Richard Thaler, einem Wirtschaftsprofessor, und Cass Sunstein, einem Rechtswissenschaftler. Gemeinsam veröffentlichten sie 2008 das Buch Nudge – wie man kluge Entscheidungen anstößt, das weltweite Aufmerksamkeit erregte.

Ihre Arbeit brachte das Konzept auf die politische und wirtschaftliche Bühne, indem sie zeigten, wie Menschen oft irrational entscheiden, aber durch kleine „Schubser“ in die richtige Richtung gelenkt werden können – ohne Zwang, sondern durch subtile Änderungen in der Art, wie Entscheidungen präsentiert werden.

Was genau macht Nudging aus?

Nudging ist eine sanfte Verhaltenslenkung, die auf einigen zentralen Prinzipien basiert:

  1. Veränderung der Entscheidungsarchitektur:
    Wie Optionen präsentiert werden, beeinflusst maßgeblich die Entscheidungen, die Menschen treffen. Ein Nudge sorgt dafür, dass die vorteilhaftere Option sichtbarer oder zugänglicher ist, ohne andere Optionen zu verbieten.
  2. Keine Verbote:
    Nudging muss ohne Verbote oder ökonomische Anreize auskommen. Eine Manipulation aus betriebswirtschaftlichen Gründen zugunsten von Unternehmen wird damit ausgeschlossen.
  3. Erhalt der Wahlfreiheit:
    Menschen werden beim Nudging zu nichts gezwungen, sie behalten alle Optionen. Der Nudge ist kein Zwang, sondern lediglich ein Schubs in eine bestimmte Richtung.
  4. Einfachheit und Attraktivität:
    Die gesündere oder nachhaltigere Option wird oft einfacher und attraktiver dargestellt. Das kann eine prominente Platzierung und eine ansprechende Verpackung sein, ohne das andere Optionen degradiert werden.
  5. Ethisch und moralisch vertretbar:
    Die Maßnahmen des Nudge dienen dem Wohl des Einzelnen oder der Gesellschaft. Sie sind ethisch und moralisch vertretbar.
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Richard Thaler, Mitbegründer des Nudging-Konzepts, wurde 2017 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Er erhielt die renommierte Auszeichnung für seine bahnbrechende Arbeit in der Verhaltensökonomie, insbesondere dafür, wie menschliche Verhaltensmuster – oft geprägt von emotionalen und irrationalen Entscheidungen – das ökonomische Denken und Handeln beeinflussen.

Was Nudging nicht ist

Nudging darf nicht mit Manipulation oder Bevormundung verwechselt werden. Im Supermarkt bedeutet ein Nudge nicht, dass Kundinnen und Kunden durch irreführende Werbung oder aggressive Verkaufsstrategien zu einem Kauf gedrängt werden. Es handelt sich nicht um versteckte Tricks oder psychologische Manipulation, die die Konsumentinnen und Konsumenten überrumpeln.

Vielmehr bleibt die Wahlfreiheit vollkommen erhalten – die Pizza ist immer noch da, sie steht nur nicht mehr so prominent im Vordergrund. Ein Nudge sorgt dafür, dass die gesündere oder nachhaltigere Option sichtbarer und einfacher zu wählen ist, ohne Druck oder Zwang. Nudging zielt darauf ab, Entscheidungen zu erleichtern, nicht zu diktieren.

Nudging im Alltag

Die kleinen Anstupser finden wir in unserem Alltag mittlerweile ganz oft, ohne sie als solche wahrzunehmen. Fünf Beispiele machen dies deutlich:

  • In der Kantine wird als Standardbeilage Salat statt Pommes Frites angeboten.
  • Fragen auf einem Formular werden so formuliert, dass sie nicht verwirrend sind.
  • Am Waschbecken in öffentlichen Toiletten wird darauf hingewiesen, dass sich 90 Prozent der Menschen für 20 Sekunden die Hände waschen.
  • Gesunde Speisen werden auf Augenhöhe angeboten – einfach zu sehen und zu erreichen.
  • Plakate oder Briefe erinnern an Wahlen.

Diese Situationen hatten wir wohl alle bereits, haben aber nicht bemerkt, dass es sich dabei oft um Nudging handelt. Warum diese Beispiele genau Nudging sind, erklärt das Lernangebot „Nudging in der Ernährung“ der HAW Hamburg noch genauer.

Grundlagen für die Anwendung von Nudging im Bereich der Ernährung und Gesundheit.

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Das Problem ungesunder Ernährung ist global

In einer Welt, in der sich ungesunde Essgewohnheiten zunehmend auf die Gesundheit auswirken, könnte Nudging ein mächtiges Instrument sein, um Menschen noch effektiver zu gesünderen Entscheidungen zu bewegen.

Das Problem ungesunder Ernährung ist global: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ungesunde Ernährung ein Risikofaktor für viele Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Diabetes.

Insgesamt sollen laut WHO zwei Milliarden Menschen an Übergewicht und Adipositas (starkes Übergewicht hin zu Fettleibigkeit) leiden. Und tatsächlich sterben laut einer Studie von 2019 weltweit schätzungsweise 11 Millionen Menschen jährlich an den Folgen ihrer ungesunden Ernährung. Das sind alarmierende Zahlen eines globalen Problems.

Knapp ein Fünftel der Erwachsenen in Deutschland leiden an Adipositas

In Deutschland sind die Zahlen ebenfalls besorgniserregend: 60 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen sind laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) von Übergewicht betroffen. Fast ein Fünftel der Erwachsenen (19 Prozent) wiesen eine Adipositas auf, so das RKI weiter.

Besonders bei Kindern ist die Entwicklung bedenklich: Fast 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden dem RKI zufolge an Übergewicht, etwa 6 Prozent an Adipositas. Diese Trends verdeutlichen, wie notwendig es ist, gesündere Entscheidungen zu fördern.

Dieser Online-Kurs führt Multiplikatoren und interessierte Personen in den Einsatz von Nudging zur Förderung von Gesundheit und Nachhaltigkeit ein. Das Schulungskonzept ermöglicht eine schnelle Einarbeitung und praktische Anwendung des Gelernten. Der Kurs richtet sich an Fachkräfte und Einzelpersonen mit Interesse an Gesundheit und Nachhaltigkeit, ist kostenlos und flexibel online zugänglich. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis von Nudging zu entwickeln und Teilnehmende zur Anwendung im Beruf oder Alltag zu befähigen. Durch Quizzes und Übungen können Teilnehmende ihr Wissen vertiefen, mit dem Ziel, Nudging effektiv für Gesundheit und Nachhaltigkeit einzusetzen.

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Mit Nudging zu gesünderen Alternativen greifen

Hier kann neben vielen weiteren Maßnahmen zur Gesundheitsförderung auch Nudging ein Baustein sein: Mit gezielten Maßnahmen in Supermärkten, Kantinen und der Lebensmittelindustrie könnten Menschen leichter zu gesünderen Alternativen greifen. Vielleicht war dir das Konzept des Nudging bisher fremd, vielleicht hast du es aber auch schon unbewusst in deinem Alltag erlebt. Aber letztlich liegt es an uns, die Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen.

Lass uns diese „sanften Stupser“ öfter mal nutzen, um unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit aktiv zu fördern. Eine gesunde Ernährung ist der Schlüssel zu einem langen, glücklichen Leben – und Nudging kann uns dabei helfen, den richtigen Weg einzuschlagen, ohne dass wir es schwer haben.

Sechs Würfel, welche das Wort Demenz zeigen

Foto: Astrid Schaffner / unsplash

23.12.2024 | Meena Stavesand

Demenz und Alzheimer: Wenn Vergesslichkeit zum Problem wird

Demenz ist eine Diagnose, die das Leben der Betroffenen und ihrer Familien tiefgreifend verändern kann. Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Erkrankung? In Deutschland leben rund 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenz. Das Risiko, daran zu er­kranken, steigt mit zu­nehm­endem Lebens­alter deut­lich an. Die Demenz ist daher eines der häufigs­ten Ge­sund­heits­pro­bleme im Alter. Wichtig ist aber eine Unterscheidung: eine Demenz nicht gleich eine Alz­heimer-­Erkrankung. Alzheimer ist eine mögliche Ursache für die Symptome einer Demenz. Aller­dings sind rund Zweidrittel der Demenzen auf eine Alz­heimer-­Erkrankung zurückzuführen. Am heutigen Welt-Alzheimer-Tag, dem 21. September, befassen wir uns daher intensiver mit diesem Thema.

Im Interview beleuchtet Dr. Mirko Könken, Facharzt für Neurologie und Leiter der Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) die Zusammenhänge zwischen Demenz und Alzheimer, spricht über frühe Symptome und gibt wertvolle Ratschläge, wie man das Risiko minimieren und den Krankheitsverlauf beeinflussen kann. Zudem erläutert Dr. Könken, welche Unterstützungsmöglichkeiten es für Betroffene und deren Angehörige gibt.

Weitere Antworten und wichtige Hinweise gibt es im Lernangebot „Medizin. Online. Verstehen“ des UKE, das sich ebenfalls mit Demenz auseinandersetzt.

Was ist Demenz? Wie äußert sich diese Krankheit und in welcher Verbindung steht sie zu Alzheimer?

Dr. Mirko Könken: Demenz ist der Verlust von kognitiven Fähigkeiten, der immer stärker fortschreitet und irgendwann zu einer Einschränkung des Alltags führt. Es gibt unterschiedliche diagnostische Leitlinien, zum Beispiel die ICD-10 oder DSM IV, die festlegt, welche Kriterien eine Demenz-Erkrankung erfüllen muss. Vordringlich ist dabei die Gedächtnisstörung. Aber man muss sagen, dass alle kognitiven Bereiche betroffen sein können, also Schwierigkeiten mit z.B. der Sprache, der Orientierung, ein vermindertes Urteilsvermögen oder eine Veränderung des sozialen Verhaltens. All diese Dinge gehören zu unseren kognitiven Fähigkeiten. Wenn es da zu Einschränkungen kommt, die unseren Alltag so sehr beeinträchtigen, dass wir beispielsweise nicht mehr alleine einkaufen gehen, an der Kasse bezahlen, Online-Banking machen, Auto fahren oder unsere Wohnung in Ordnung halten können, spricht man von einer Demenz. Voraussetzung ist, dass keine anderen akuten Störungen vorliegen, wie z.B. eine schwere Grippe oder ein Schädel-Hirn-Trauma, und dass die Symptome länger als sechs Monate andauern.

Begrifflich davon zu unterscheiden ist die Alzheimer-Erkrankung, die eine mögliche Ursache für eine Demenz ist. Es gibt verschiedene Ursachen einer Demenz, wie eben eine Alzheimer-Erkrankung, aber auch Schlaganfälle oder Parkinson-Erkrankung können zu einer Demenz führen.

Es gibt auch Vorstufen einer Demenz, bei denen man sich Dinge schlechter merken kann, zum Beispiel vergisst, was man gerade einkaufen wollte, oder man den Weg zum Supermarkt nicht mehr so gut findet, der Alltag aber trotzdem noch gut zu bewältigen ist. In solchen Fällen spricht man von einer leichten kognitiven Störung. Nicht jede leichte kognitive Störung wird automatisch zu einer Demenz.

Was ist Alzheimer genau?

Dr. Mirko Könken: Alzheimer ist eine Form der Demenz oder eine Ursache für Demenz und zeigt dann relativ typische Symptome. Es beginnt meist damit, dass das Gedächtnis und die Orientierung betroffen sind. Patientinnen und Patienten können sich Dinge nicht mehr gut merken, sich schlecht erinnern und ihre Orientierung ist vermindert.

Alzheimer ist eine Erkrankung, die durch den Abbau von Nervenzellen fortschreitet. Das bedeutet, dass sich diese Funktionen über Monate und Jahre hinweg verschlechtern. Und das ist eigentlich bei jeder Demenz so: Am Anfang kann man die betroffenen Bereiche noch unterscheiden, aber am Ende eines Demenzverlaufs sind alle Bereiche betroffen – neben dem Gedächtnis und der Orientierung (bei Alzheimer) dann auch die Sprache, das Urteilsvermögen und das Sozialverhalten.

Woran könnte man frühere Anzeichen erkennen?

Dr. Mirko Könken: Häufig bemerkt man als Patientin oder Patient selbst nicht direkt eine Vergesslichkeit oder Probleme mit der Orientierung. Man merkt vielleicht, dass etwas nicht mehr so gut funktioniert wie früher, kann aber gar nicht genau sagen, warum. Vielmehr nehmen es die Menschen im Umfeld wahr, wenn man beispielsweise öfter die Herdplatte angelassen hat, etwas beim Einkaufen vergisst oder Kleidung nicht mehr wechseln würde. Darauf kann man achten. Angehörige merken zum Beispiel auch, wenn jemand in den Urlaub fährt, wo er schon ein paar Mal war, sich dort aber plötzlich nicht mehr zurechtfindet – das ist ein typisches Zeichen. Oder wenn jemand immer wieder die gleichen Gesprächsinhalte vergisst, zum Beispiel: „Was haben wir gestern gemacht?“ oder „Was hast du erzählt?“ Das allein reicht aber nicht, um eine Demenz festzustellen, denn es gibt auch andere Ursachen, wie zum Beispiel Depressionen oder auch Vitaminmangelerscheinungen. Bei einer Depression hat man den Kopf voller Sorgen, bewusst oder unterbewusst, und kann sich dadurch auch schlechter Dinge merken. Wenn die Depression dann besser wird, wird auch das Gedächtnis wieder besser. Man sollte es aber immer medizinisch abklären lassen, wenn solche Auffälligkeiten über einige Monate hinweg bestehen.

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Nur weil jemand Probleme mit der Orientierung hat, heißt das nicht, dass er nicht mehr eigenständig einkaufen gehen kann – Routinen helfen, Einschränkungen lange zu kompensieren.
Dr. Mirko Könken, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Also bleiben diese Einschränkungen bei Alzheimer oder Demenz bestehen und bessern sich nicht mehr?

Dr. Mirko Könken: Die Einschränkungen, die entstanden sind, bleiben typischerweise bestehen. Man kann allerdings bestimmte Dinge üben. Nur weil jemand jetzt Probleme mit der Orientierung hat, heißt das nicht, dass die Person nicht auch weiterhin selbstständig einkaufen gehen kann. Es hilft, bestimmte Routinen zu entwickeln, wie immer den gleichen Supermarkt zu nutzen. Routinen funktionieren relativ lange gut. Deshalb fällt die Veränderung oft erst später auf.

Wenn ich alle zwei Tage zu meinem Supermarkt gehe und immer die gleichen Dinge kaufe, dann funktioniert das auch weiterhin, selbst wenn meine Orientierung nachlässt. Aber wenn ich plötzlich in einen anderen Supermarkt gehen muss, weil der gewohnte renoviert wird, kann es sein, dass das nicht mehr funktioniert. Deswegen ist es wichtig, zu schauen, wo man Unterstützung braucht. Man kann nicht pauschal sagen, dass jemand mit einer Demenz plötzlich alles nicht mehr kann; viele Dinge gelingen weiterhin.

Wie entsteht eine Demenz?

Dr. Mirko Könken: Eine Demenz entsteht durch den Abbau von Nervenzellen, was je nach Ursache unterschiedlich schnell fortschreitet. Bei einem Schlaganfall passiert der Schaden von einem Moment auf den anderen. Wenn der Schlaganfall das Sprachzentrum betrifft, kann ich plötzlich nicht mehr richtig sprechen. Das kann zu einer Demenz führen, wenn es mehrere solcher Schlaganfälle gibt. Bei der Alzheimer-Erkrankung schreitet der Abbau langsam fort, und je größer die kognitive Reserve ist, die man sich im Laufe des Lebens erarbeitet hat, desto länger kann man die Ausfallerscheinungen kompensieren. Menschen, die zum Beispiel sprachlich sehr gewandt sind, bekommen später Probleme mit der Sprache, weil ihre Reserve größer ist. Wer dagegen immer nur in der Wohnung sitzt und kaum geistig arbeitet, hat weniger Reserven, um mit Herausforderungen umzugehen.

Gibt es genetische Faktoren, die das Risiko für Alzheimer erhöhen?

Dr. Mirko Könken: Es gibt drei Gene, die bei der Alzheimer-Erkrankung eine Rolle spielen. Diese führen in bestimmten Familien, in denen das gehäuft auftritt, zu einer frühen Erkrankung, oft schon mit 40, 50 oder 60 Jahren. Das ist aber relativ selten. Wenn die Eltern eine Alzheimer-Erkrankung hatten, hat man selbst ein erhöhtes Risiko, aber das bedeutet nicht, dass man automatisch auch daran erkranken wird. Es gibt auch so genannte Risikostratifizierungen, bei denen genetische Untersuchungen zeigen können, ob man ein höheres Risiko hat. Allerdings finde ich es nicht sinnvoll, das ohne Grund zu testen, weil die Konsequenz unklar ist. Man könnte sich verrückt machen, wenn man mit 40 Jahren erfährt, dass man ein höheres Risiko hat, ohne dass das bedeutet, dass man sicher erkranken wird. Ein gesunder Lebensstil kann das Risiko indes beeinflussen und die Nervenzellen länger gesund halten.

Ein gesunder Lebensstil, wie bei vielen anderen Krankheiten, kann also das Risiko minimieren oder den Verlauf verzögern?

Dr. Mirko Könken: Ja. Man kann das eigene Risiko beeinflussen, aber nicht verhindern, dass man möglicherweise irgendwann Alzheimer bekommt. Ein gesunder Lebensstil, Bewegung, gesunde Ernährung – all das hilft, die Reserve zu vergrößern und das Nervensystem länger gesund zu halten. Es geht darum, fit zu bleiben und aktiv zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass man dreimal die Woche joggen gehen muss – auch regelmäßige Spaziergänge und das Vermeiden von zu viel Zeit vor dem Fernseher können helfen.

Was passiert, wenn jemand die Diagnose Alzheimer erhält? Was können Betroffene tun?

Dr. Mirko Könken: Wenn man eine leichte Demenz diagnostiziert bekommt, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es gibt Maßnahmen, die man selbst beeinflussen kann, wie den Blutdruck gut einzustellen, sich zu bewegen und sich gesund zu ernähren. Zu einem gewissen Grad kann auch Gedächtnistraining helfen. Aber es ist wichtig, Unterstützung in den Bereichen zu bekommen, in denen man Schwierigkeiten hat. Eine Pflegegrad-Einstufung kann sinnvoll sein, weil sie finanzielle Unterstützung bietet, die man dann flexibel einsetzen kann – sei es, um jemanden zu haben, der bei alltäglichen Aufgaben hilft, oder um soziale Aktivitäten zu fördern, wie den Besuch einer Pflegeeinrichtung, um Kontakte zu knüpfen und aktiv zu bleiben.

Gibt es Medikamente gegen Alzheimer?

Dr. Mirko Könken: Es gibt ein Medikament, das die Symptome in einem frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung etwas bessern kann, aber es hat keinen Einfluss auf die Ursache. Außerdem gibt es ein pflanzliches Mittel, dessen Wirkung aber nicht besonders stark ist: Ginkgo. Es hat eher geringe Effekte und üblicherweise muss man es selbst zahlen. Ab einem gewissen Stadium einer gesicherten Demenz kann es vom Arzt verschrieben werden.

In diesem Lernangebot stellen wir verschiedene Erkrankungen und deren Behandlung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in Form von kurzen Filmen und informativen Texten auf einer projekteigenen Webseite vor.  

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Gibt es in der Forschung vielversprechende Therapieansätze?

Dr. Mirko Könken: Ja, in den USA gibt es bereits zugelassene Antikörper, die gegen ein bestimmtes Protein wirken, das bei Alzheimer eine Rolle spielt. Diese Therapie kann den Krankheitsverlauf verlangsamen, aber nicht heilen. In Deutschland sind diese Medikamente noch nicht zugelassen, und es fehlen noch Langzeitstudien. Dennoch gibt es viele Medikamente, die sich in der Forschung befinden und hoffentlich in Zukunft effektivere Behandlungen bieten werden.

Was können Angehörige tun, um Betroffene zu unterstützen?

Dr. Mirko Könken: Es ist wichtig, vorausschauend zu planen und Unterstützung zu organisieren, bevor die Situation eskaliert. Routine hilft den Betroffenen, möglichst lange selbstständig zu bleiben. Angehörige sollten externe Hilfe in Anspruch nehmen, sei es durch Pflegedienste oder den Besuch von Selbsthilfegruppen. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann wertvolle Tipps bieten. Und es gibt Organisationen wie die Deutsche Alzheimer Gesellschaft oder Pflegestützpunkte in Hamburg, die Beratung und Informationsveranstaltungen anbieten. Es kann auch hilfreich sein, kleine Veränderungen vorzunehmen, wie den Autoschlüssel zu verstecken, um gefährliche Situationen zu vermeiden. In jedem Fall ist es wichtig, Veränderungen zu erkennen, als solche wahrzunehmen und sich dann Hilfe zu holen – medizinisch, finanziell und möglicherweise auch pflegerisch.

über Dr. Mirko Könken

Dr. Mirko Könken ist Facharzt für Neurologie und Leiter der Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Chefarzt Prof. Dr. Jürgen Gallinat).

16.12.2024 | Meena Stavesand

IDEA-Ehrenpreis für Monika Bessenrodt-Weberpals

Wie macht man Hochschulbildung gerecht und digital? Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals von der HAW Hamburg hat dafür unter anderem mit der Hamburg Open Online University einen Weg gefunden: Als Gründungsmitglied und ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende prägte sie seit 2014 die HOOU entscheidend mit – ein Engagement, das jetzt mit dem IDEA-Ehrenpreis 2024 der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet wurde. IDEA steht für Innovation in Digital Equality Ihre Geschichte zeigt, wie man gemeinsam mit vielen Mitstreitenden die digitale Bildungslandschaft Hamburgs umkrempelt und dabei gezielt Geschlechtergerechtigkeit in der Bildung fördern kann.

Was haben Physik und Geschlechtergerechtigkeit gemeinsam? Auf den ersten Blick wenig. Doch Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals beweist seit 2004 an der HAW Hamburg, dass diese Kombination ein Schlüssel zu mehr Bildungsgerechtigkeit sein kann.

Als Professorin für Physik und Geschlechterforschung, Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie Gleichstellung und als Aufsichtsratsvorsitzende der HOOU entwickelte sie die Hamburg Open Online University in ihrer heutigen Form mit. Ein Ort, an dem alle 24 Stunden sieben Tage die Woche lernen können.

Senatorin Katharina Fegebank und Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals bei der Verleihung.

Dieses Engagement steht stellvertretend für ihre langjährigen und großen Verdienste für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der digitalen Welt, für die sie nun ausgezeichnet wurde.

Wissenschaft für alle

Die Hamburg Open Online University (HOOU) bricht mit alten Mustern: Statt elitärer Abschottung der Universitäten und Hochschulen setzt sie auf digitale Offenheit. Wichtig dabei: „Die Digitalisierung ist ein wichtiger Türöffner für die Gleichstellung“, bestätigt Wissenschafts- und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank bei der IDEA-Preisverleihung.

Die HOOU mit ihrem offenen und kostenlosen Konzept überzeugt besonders in Zeiten wachsender Bildungsungleichheit.

Monika Bessenrodt-Weberpals verankerte Themen wie Bildungsgerechtigkeit, Gleichstellung und Diversity fest im Hochschulsystem. Auch nach ihrem Eintritt in den Ruhestand im September 2023 treibt sie ihre Vision einer gerechteren akademischen Welt zusammen mit vielen Mitstreitenden weiter voran.

Über den IDEA-Ehrenpreis

Der IDEA-Ehrenpreis des Hamburger Senats würdigt Frauen, die die digitale Transformation vorantreiben. Die Auszeichnung hebt besonders jene hervor, die Tech-Expertise mit gesellschaftlichem Fortschritt verbinden – wie Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals, die zeigt, dass digitale Innovation und Geschlechtergerechtigkeit durch gemeinschaftliches Engagement erreicht werden können.

Das Bild zeigt Container, die übereinander gestapelt sind, im Hamburger Hafen.

Bild: Wolfgang Weiser / Pexels

11.12.2024 | Meena Stavesand

Wer bringt was wohin? Die erstaunliche Logistik hinter unseren Paketen und Produkten

Ob Online-Shopping oder volle Supermarktregale – ohne moderne Logistik läuft nichts mehr in unserer globalisierten Welt. Logistische Prozesse stecken in jeder Paketlieferung und hinter jedem verfügbaren Produkt. Doch die Branche steht vor Veränderungen: Nachhaltigkeit wird immer wichtiger, neue Technologien wie künstliche Intelligenz revolutionieren die Abläufe. Wie funktioniert dieses komplexe System eigentlich und vor welchen Herausforderungen steht es in Zeiten von Klimawandel und Digitalisierung?

Wir haben mit Prof. Dr. Heike Flämig, Professorin für Transportketten und Logistik an der Technischen Universität Hamburg, und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Ineke Jäger über die Definition von Logistik und die Herausforderungen der Branche gesprochen. Außerdem wagen wir einen Blick in die Zukunft. Doch wie sieht eigentlich eine ideale Lieferkette aus? Das erfahren Interessierte in dem passenden englischsprachigen Lernangebot „MoGoLo“ der TU Hamburg.

Was ist Logistik und wo kann man sie erleben?

Logistik umfasst die Planung, Steuerung, Kontrolle und Durchführung aller materiellen, energetischen und informationsbezogenen Abläufe, die nötig sind, um ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Dabei berücksichtigt sie wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele.

Logistik findet an vielen verschiedenen Orten statt, die durch feste oder bewegliche Knotenpunkte miteinander verbunden sind: Im Einzelhandel steuert sie die Lieferketten, damit die Regale gefüllt bleiben. Bei Paketdiensten kümmert sie sich um die Paketbearbeitung, Touren- und Routenplanung sowie um die Sendungsverfolgung. In Produktionsbetrieben sorgt sie dafür, dass alle benötigten Materialien in den Fabriken bereitstehen, um die Produkte zu fertigen.

An Flughäfen und Häfen wird internationale Logistik bei der Abfertigung von Gepäck, Fracht und der Organisation von Zollprozessen sichtbar. Im Gesundheitswesen gewährleistet sie die zuverlässige Lieferung von Medikamenten und Geräten. Als Nachschubwesen ist sie im Militär unverzichtbar. In Krisensituationen ist Logistik entscheidend für die schnelle Verteilung von Hilfsgütern und die Koordination von Rettungseinsätzen.

Warum ist eine gut funktionierende Mobilität von Gütern in unserer Gesellschaft so entscheidend?

Eine gut funktionierende Gütermobilität macht erst eine effiziente räumliche Arbeitsteilung möglich. Besonders die internationale Logistik ist wichtig für den wirtschaftlichen Wohlstand. Sie stellt sicher, dass die Materialien (Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe) und Produkte zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, um wettbewerbsfähig wirtschaften zu können. Verlässliche Lieferketten sind Voraussetzung, um die Kundenerwartungen zu erfüllen. Sie sichert die Versorgung, indem Waren des täglichen Bedarfs jederzeit verfügbar sind. Gleichzeitig kümmert sie sich um die Entsorgung bis hin zur Kreislaufwirtschaft.

Globalisierung und wirtschaftliche Vielfalt durch internationalen Handel wären ohne funktionierende Gütermobilität nicht möglich. Technischer Fortschritt und Innovationen verbessern die Logistiksysteme oder führen zu neuen Lösungen. Zudem trägt gut geplante Logistik dazu bei, vor allem die Umweltbelastung durch den Güterverkehr zu minimieren und damit nachhaltiger zu werden.

The sections of „MoGoLo“ (Mobility of Goods and Logistics Systems) are dealing with the different transport systems road, rail, inland waterway, waterway and air such as the sustainable dimensions of goods movement.

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Was sind die besonderen Herausforderungen, wenn unterschiedliche Verkehrsträger wie Straße, Schiene, Wasser und Luft kombiniert werden?

Die Kombination verschiedener Verkehrsträger bringt Herausforderungen beim Management der Übergangspunkte mit sich, da der Wechsel der Güter zwischen den Transportmitteln reibungslos erfolgen muss, um Verzögerungen oder Verluste zu vermeiden. Die Planung ist komplex, da optimale Routen und Zeitpläne unter Berücksichtigung der Kosten entwickelt werden müssen, die auch flexibel genug sind, um auf unerwartete Ereignisse zu reagieren.

Jeder Verkehrsträger hat seine eigene spezielle Infrastruktur und Ausstattung, wie Schienennetze, Häfen oder Terminals. Da sehr spezielles Fachwissen erforderlich ist, müssen die einzelnen Verkehrsträger bei Entwicklung, Wartung und Betrieb eng zusammenarbeiten.

Hinzu kommen unterschiedliche Vorschriften bei den Verkehrsträgern, etwa hinsichtlich Sicherheits- oder Umweltauflagen, die bei kombinierten Transporten beachtet werden müssen. Nachhaltigkeitsaspekte erfordern strategische Überlegungen, wie die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsträger ohne Verringerung des Servicelevels realisiert werden können. Bisher sind die IT- und Informationssysteme wenig miteinander vernetzt, so dass eine hohe Transparenz entlang der gesamten intermodalen Lieferkette nur durch eine intensive Zusammenarbeit möglich ist.

Wo gibt es im aktuellen System Verbesserungen und wie sehen Innovationen aus?

Digitale Technologien wie künstliche Intelligenz und das Internet of Things (IoT) verbessern die Logistik durch genauere Vorhersagen und optimierte Routen- und Tourenplanung, was zu schnelleren und kostengünstigeren Abläufen führt. Die optimierten und automatisierten Prozesse erleichtern die Arbeit und füllen Lücken, beispielsweise wenn nicht genügend Fahrpersonal verfügbar ist.

Nachhaltige Transportlösungen umfassen den Einsatz von Elektrolastwagen und alternativen Kraftstoffen und verringern die Umweltbelastung des Transports. Über digitale Plattformen können Unternehmen ihre Logistikressourcen effizienter teilen, und eine gemeinsame Nutzung verbessert die Auslastung der Transportmittel.

Automatisierte Umschlagssysteme an Knotenpunkten oder auch die digitale Kupplung zwischen Fahrzeugen auf der Bahn oder der Straße erhöhen die Effizienz, indem sie den Übergang zwischen Verkehrsträgern beschleunigen.

Die Echtzeit-Überwachung von Gütern steigert die Transparenz in der Lieferkette und ermöglicht schnellere Reaktionen auf Störungen. Die beste Logistik findet nicht statt – so bietet der Einsatz von moderner Fertigung und 3D-Druck die Möglichkeit, Produkte näher am Endverbraucher herzustellen und lange Transportwege zu vermeiden. Schließlich erlauben anpassungsfähige Logistikketten durch agile Managementmethoden eine flexible Anpassung an veränderte Marktbedingungen oder unerwartete Ereignisse und machen sie widerstandsfähiger.

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Über 20 Prozent der Treibhausgase entstehen durch Transporte.

Welche Rolle spielen Klimawandel und Nachhaltigkeit?

Der Klimawandel und die Notwendigkeit nachhaltiger Praktiken sind für die Logistik sehr wichtig. Über 20 Prozent der Treibhausgase entstehen durch Transporte. Die Folgen des Klimawandels, wie Überflutungen oder Stürme, führen zu Beeinträchtigungen oder sogar Ausfällen von Teilen der Verkehrssysteme. Deshalb überprüfen Unternehmen ihre Lieferketten auf Widerstandsfähigkeit sowie Umwelt- und Umfeldverträglichkeit. Durch die Pflicht zur Berichterstattung steigt besonders der Druck auf transportintensive Branchen, nach Alternativen zu suchen.

Verschärfte Umweltvorschriften weltweit bewegen Firmen dazu, ihre Umweltbelastung zu minimieren und umweltverträgliche Technologien einzuführen, wie zum Beispiel kürzere Lieferketten und umweltfreundliche Verpackungen. Diese Anforderungen fördern Innovationen und Investitionen in erneuerbare Energien und effiziente Transport-, Umschlags- und Lagertechnologien. Nachhaltige Logistik zielt darauf ab, mit Ressourcen sparsam umzugehen, Abfall zu minimieren und die Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.

Blick zurück: Welche Rolle spielten bei der Logistik gesellschaftsverändernde Phänomene wie das Internet im Vergleich zu einer Zeit ohne Amazon, Temu und Co.?

Die Logistik wurde durch viele gesellschaftliche Veränderungen geprägt, vor allem durch einen Wandel in der Wahrnehmung. Früher sind erst durch Handel und Logistik Städte entstanden. In den 1990er Jahren wurde die Logistik zunehmend aus den Ballungsräumen verdrängt, um die negativen Folgen für Mensch und Umwelt auszulagern. Dabei wurde kaum beachtet, dass letztlich jeder Standort ver- und entsorgt werden muss.

Mit dem Einzug des Internets in jeden Haushalt wurde der direkte Verkauf von Produkten an Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich einfacher. Der sich wandelnde Umgang in der Gesellschaft mit Zeit beeinflusst auch die Logistik stark. Der Zeitwettbewerb führte zu höheren Kundenerwartungen an schnelle Lieferungen und genaue Zustellinformationen. Dies wirft auch die Frage nach logistischen Standorten neu auf. Um sehr kurze Lieferzeiten bei gleichzeitig steigenden Umweltauflagen gewährleisten zu können, werden nun wieder logistische Knoten, meist in kleinerem Maßstab, in den Ballungsräumen aufgebaut.

Gleichzeitig verschwanden räumliche Grenzen. Wie Menschen sind auch Güter inzwischen weltweit unterwegs. Der Online-Handel macht dies einfacher.

Durch verstärkte Automatisierung und datengestützte Entscheidungsfindung wird die Effizienz der Logistiksysteme gesteigert. Auf die Individualisierung der Gesellschaft reagieren Unternehmen mit personifizierten Angeboten und einfachen Rückgabeprozessen. Dafür sind erhebliche Anpassungen der logistischen Prozesse nötig, um die so genannte „Customer Journey“ nahtlos zu gewährleisten.

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Um wirklich zukunftsfähig zu werden, müssen wir heute in die Infrastruktur für digitale und automatisierte Technologien investieren, die selbstständige Prozesse ermöglichen, die Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte vorantreiben und vor allem Umweltschutz in die Unternehmensstrategien einbauen.
Prof. Dr. Heike Flämig, Technische Universität Hamburg

Blick in die Zukunft: Wie könnte die Logistik in 20 Jahren aussehen und welche Herausforderungen sollten wir heute schon angehen, um zukunftsfähig zu sein?

In 20 Jahren könnte die Logistik durch den technischen Fortschritt noch stärker automatisiert und digitalisiert sein. Es könnte vollautomatische Läger mit effizientem Warenumschlag geben, mit selbstfahrenden Fahrzeugen und Drohnen für den Gütertransport je nach Einsatzgebiet. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen könnten Prozesse in Echtzeit verbessern und Nachfrageschwankungen genauer vorhersagen.

Nachhaltige Technologien werden noch wichtiger werden, wobei besonders der emissionsfreie Elektroantrieb eine zentrale Rolle spielen wird. Die Bauweise der Transport-, Umschlags- und Lagertechnik folgt schon jetzt oft dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft für eine effiziente Ressourcennutzung – zum Beispiel bei den Gabelstaplern.

Um wirklich zukunftsfähig zu werden, müssen wir heute in die Infrastruktur für digitale und automatisierte Technologien investieren, die selbstständige Prozesse ermöglichen, die Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte vorantreiben und vor allem Umweltschutz in die Unternehmensstrategien einbauen. Wichtig ist auch, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten durch kollaborative und agile Managementmethoden zu stärken, um auf globale Krisen besser reagieren zu können.

Ihr habt das Lernangebot „MoGoLo“ umgesetzt, von dem es nun eine Neuveröffentlichung gibt. Was kann ich mit „MoGoLo“ lernen?

Das Lernangebot MoGoLo (ausgeschrieben „Mobility of Goods and Logistics“) besteht aus drei wichtigen Bereichen. Der erste Teil „Global Supply Chain and Logistics“ bietet eine grundlegende Einführung in das Thema und erklärt die wichtigsten Begriffe. Darauf folgt der Teil „Conceptual System Model of Transport and Traffic“, der als Grundlage für die nächsten fünf Kapitel dient, die sich mit verschiedenen Transportsystemen befassen.

Die Kapitel über „Road, Rail, Inland Waterway, Maritime und Air Transport System“ können entweder in der vorgeschlagenen Reihenfolge oder einzeln durchgearbeitet werden. Jedes Transportsystem wird einheitlich dargestellt und mit den zuvor erklärten Elementen des Systemmodells veranschaulicht.

Der letzte Teil „Sustainable Dimensions in Goods Movement“ beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit im Güterverkehr und zeigt, wie man die negativen Umweltauswirkungen des Transports verringern kann. Dabei wird Nachhaltigkeit nicht nur anhand des Drei-Säulen-Modells erklärt, sondern auch die wichtige vierte Dimension von Kultur und Werten eingeführt. Anhand der Struktur des Systemmodells, seiner Elemente und Beziehungen wird deren Einfluss auf die ökologische Nachhaltigkeit genauer untersucht.

Insgesamt bietet das Lernangebot eine umfassende Einführung in die Logistik mit Fokus auf verschiedene Transportsysteme und wichtige Nachhaltigkeitsaspekte.

Über Prof. Dr. Heike Flämig und Ineke Jäger

Pro. Dr.-Ing. Heike Flämig hat die Professur für Transportketten und Logistik an der Technischen Universität Hamburg. Sie ist Sprecherin des TUHH – Forschungsschwerpunkts „Logistics Management and Technology“.

Ineke Jäger ist seit 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Hamburg tätig und betreut das Lernangebot MoGoLo. Außerdem ist sie in weiteren Projekten aktiv die sich mit der Implementierung neuer Logistikkonzepte und deren Wirkungen auf die Nachhaltigkeit befassen.

Bild: Keenan Constance/Unsplash

26.11.2024 | Meena Stavesand

"Eine Depression ist behandelbar – umso dramatischer ist es, wenn ein Mensch daran stirbt"

Eine depressive Phase kann jeden treffen – und sie ist mehr als nur eine schlechte Stimmung. Gerade in der dunklen Jahreszeit kämpfen einige Menschen mit depressiven Phasen. Und: Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen, die unbehandelt lebensbedrohlich werden kann. Viele Betroffene und Angehörige erkennen die Anzeichen zu spät oder scheuen sich teilweise auch, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Noch immer ist die Krankheit mit Scham behaftet, obwohl sie medizinisch gut behandelbar ist. Mit Dr. Gregor Leicht vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) haben wir über Depressionen gesprochen.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erklärt, wie erkennt man eine Depression erkennt, welche Rolle Gene und Lebensereignisse bei der Entstehung spielen und was Angehörige tun können, wenn sie Warnsignale bemerken. Dr. Gregor Leicht macht Betroffenen Mut: „Depression ist behandelbar.“ Weitere Informationen gibt es auch in dem Angebot „Medizin. Online. Verstehen“ des UKE.

Was ist eine Depression?

Dr. Gregor Leicht: Depressionen äußern sich über drei Kernsymptome. Das erste ist eine über mindestens zwei Wochen anhaltende depressive Niedergestimmtheit, die nicht mehr auf äußere Faktoren reagiert. Die Stimmung bleibt in diesem depressiven Zustand stecken. Das zweite Kernsymptom ist, dass Menschen die Freude an Dingen verlieren, die bisher Freude gemacht haben – sie können dieses Gefühl nicht mehr spüren und verlieren dadurch auch das Interesse an Aktivitäten, die üblicherweise Freude bereiten. Das dritte Kernsymptom ist ein Antriebsverlust, eine ausgedehnte Energielosigkeit und erhöhte Ermüdbarkeit, sodass selbst kleinere Alltagsdinge zu einer großen Herausforderung werden. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass der Blick in die Zukunft stark verdunkelt ist und oft eine ausgeprägte Hoffnungslosigkeit besteht.

Sind diese Kernsymptome alle immer vorhanden oder kann es auch nur eins sein?

Dr. Gregor Leicht: Man unterscheidet verschiedene Schweregrade. Bei einer schweren Depression sind alle diese Symptome vorhanden. Bei einer mittelgradigen Depression müssen zwei dieser Symptome in einem deutlichen Schweregrad vorhanden sein, bei der leichten Depression ebenfalls zwei dieser Symptomkomplexe, allerdings in einer milderen Ausprägung.

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Eine Depression kann jeden treffen: etwa 16-20 von 100 Menschen leiden im Laufe ihres Lebens an dieser psychischen Erkrankung. Sie kann in jedem Lebens­alter auf­treten. Frauen sind etwa dop­pelt so häufig betroffen wie Män­ner. Auch Menschen mit einer körperlichen Er­krankung haben ein höheres Risiko an einer Depres­sion zu er­kranken. In vielen Fällen tritt die Er­krankung nicht nur einmalig, son­dern wieder­kehrend auf. Man spricht dann von einer so­ge­nann­ten rezi­divierenden Depression.

Was sind die Ursachen einer Depression?

Dr. Gregor Leicht: Die Entstehung einer Depression lässt sich durch das sogenannte Stress-Vulnerabilitäts-Modell erklären. Dieses Modell geht von zwei Hauptfaktoren aus: Zum einen spielt die genetische Veranlagung (Vulnerabilität) eine wichtige Rolle, zum anderen können bestimmte Stressfaktoren im Leben als Auslöser wirken.

Bei Menschen mit entsprechender genetischer Veranlagung können biologische Prozesse im Gehirn die Balance der Neurotransmitter stören. Man nimmt an, dass dabei der Botenstoff Serotonin, auch als „Glücksbotenstoff“ bekannt, eine entscheidende Rolle spielt.

Die eigentliche Erkrankung bricht häufig erst durch zusätzliche belastende Lebensereignisse aus. Solche Auslöser können beispielsweise sein:

  • Tod von nahen Angehörigen
  • Trennungen
  • Verlust des Arbeitsplatzes
  • Eintritt ins Rentenalter
  • Körperliche Erkrankungen

Die genauen Zusammenhänge werden noch erforscht, aber das Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Stressfaktoren gilt als wesentlicher Mechanismus bei der Entstehung von Depressionen.

Gibt es weitere Ursachen?

Dr. Gregor Leicht: Depressionen können als Nebenwirkung beispielsweise bei der Einnahme bestimmter Medikamente wie Blutdruckpräparaten oder Cortison auftreten. Bei der Diagnose müssen wir außerdem ausschließen, dass Infektionen oder Tumore im Gehirn die Depression auslösen. Auch hormonelle Störungen können eine wichtige Rolle spielen – dazu gehören etwa eine Schilddrüsenunterfunktion oder die hormonellen Veränderungen während der Wechseljahre bei Frauen.

Neben diesen medizinischen Ursachen gibt es besondere Erscheinungsformen der Depression mit charakteristischen Symptommustern. Ein Beispiel ist die saisonale Depression, auch „Winterdepression“ genannt. Menschen mit dieser Form leiden unter dem Lichtmangel in der dunklen Jahreszeit und entwickeln sehr regelmäßig über den Winter depressive Phasen.

Gibt es Menschen, die nicht an einer Depression erkranken können, weil sie die biologische Veranlagung nicht haben?

Dr. Gregor Leicht: Man nimmt zwei wesentliche Gründe an, warum manche Menschen keine Depression entwickeln, obwohl sie Belastungsfaktoren ausgesetzt sind. Der erste Grund ist, dass sie die biologische Veranlagung dafür nicht in sich tragen. Der zweite Grund liegt in den sogenannten Resilienzfaktoren, die zunehmend erforscht werden. Diese Faktoren sind eng damit verbunden, wie ein Mensch in der Entwicklung seiner Persönlichkeit gelernt hat, mit Stressphasen umzugehen und wie er diese ausgleichen kann. Diese können das Ausbrechen von depressiven Erkrankungen verhindern – auch dann, wenn eine genetische Belastung vorliegt.

Wie stellen Sie eine Diagnose?

Dr. Gregor Leicht: Die Diagnose stellen wir im Gespräch mit den Patientinnen und Patienten. Wir gehen standardisiert nach dem sogenannten psychopathologischen Befund mögliche Symptome durch. Das sind die drei Kernsymptome, die ich genannt habe, und weitere typische Symptome, die man erfragen muss.

Typisch für Depressionen sind zum Beispiel kognitive Störungen – also Störungen der Aufmerksamkeit oder der Konzentration. Das kann in der schweren Ausprägung fast wie eine beginnende Demenz aussehen. Der Unterschied ist, dass man es behandeln kann und die Symptome wieder verschwinden.

In diesem Lernangebot stellen wir verschiedene Erkrankungen und deren Behandlung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in Form von kurzen Filmen und informativen Texten auf einer projekteigenen Webseite vor.  

Zum Lernangebot

Außerdem fragen wir immer nach dem Selbstvertrauen, weil häufig das Selbstwertgefühl stark vermindert ist. Viele haben Schuldgefühle, das Gefühl, eine Last zu sein oder wertlos zu sein. Wir prüfen auch immer den Blick in die Zukunft: Gibt es eine ausgeprägte negative Zukunftsperspektive bis hin zu einer schweren Hoffnungslosigkeit?

Dann gibt es somatische Symptome wie verminderten Appetit, der bei schwerer Ausprägung oft mit deutlichem Gewichtsverlust einhergeht. Fast immer treten ausgeprägte Schlafstörungen auf – eine deutlich verringerte Schlafzeit, Einschlaf- und Durchschlafstörungen – und ein vermindertes Interesse an Sexualität. Bei der atypischen Depression sind diese Symptome umgekehrt.

Wie prüfen Sie die biologische Veranlagung?

Dr. Gregor Leicht: Es gibt leider noch keine Methode, bei der man Blut abnehmen oder ein Bild vom Gehirn machen kann und dadurch eine Depression erkennt. Wir schließen aus, dass es einen körperlichen Grund gibt. Die Diagnose einer Depression erfolgt immer erst, nachdem wir organische Ursachen ausgeschlossen haben.

Wie gefährlich kann eine Depression sein?

Dr. Gregor Leicht: Eine Depression kann lebensgefährlich sein. Es können Suizidgedanken auftreten. Diese beginnen oft mit dem Gefühl, es wäre besser, nicht mehr da zu sein – ein Lebensüberdruss. Das kann sich in gefährliche Bereiche entwickeln, wie die Idee, dem Leben ein Ende zu setzen, bis hin zur konkreten Planung einer Methode oder einem Versuch. In der Diagnostik müssen wir sehr genau nachfragen, um die Gefährlichkeit einzuschätzen und schwere Komplikationen zu verhindern.

Wie sieht eine Therapie aus?

Dr. Gregor Leicht: Depressionen sind im Vergleich zu vielen körperlichen Erkrankungen gut behandelbar. Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad: Bei leichten und mittelschweren Depressionen wird vor allem Psychotherapie eingesetzt, die ähnlich wirksam ist wie Medikamente. Bei schweren Depressionen verbessern zusätzliche Antidepressiva die Heilungschancen und beugen Rückfällen vor.

Neben diesen Hauptbehandlungen gibt es weitere wirksame Maßnahmen: Bei saisonalen Depressionen helfen Tageslichtlampen. Regelmäßige sportliche Betätigung und Bewegung an der frischen Luft sind generell sehr förderlich. Menschen mit Anfälligkeit für Depressionen wird empfohlen, zwei- bis dreimal wöchentlich draußen spazieren zu gehen. Wichtig ist auch, Aktivitäten beizubehalten, die Freude bereiten, und soziale Kontakte zu pflegen. Auch die Selbstfürsorge spielt eine wichtige Rolle, besonders was Arbeitspausen und Entspannungsphasen betrifft.

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Eine Depression ist wie eine depressive Niedergestimmtheit, die auch nicht mehr auf äußere Faktoren reagiert. Die Stimmung kann sich nicht mehr ändern, sondern bleibt in diesem depressiven Zustand stecken.
Dr. Gregor Leicht, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Damit Betroffene die Scheu davor verlieren: Wie läuft eine Therapie ab?

Dr. Gregor Leicht: In einer stationären Behandlung hat man ein bis zwei therapeutische Termine pro Woche. Zunächst wird viel daran gearbeitet, dass Menschen mit dieser Erkrankung zu Experten für ihre Erkrankung werden. Das nennt man Psychoedukation und ist ein wichtiger Teil der Psychotherapie.

Dann geht es darum, sogenannte Störungsmodelle zu entwickeln. Dabei identifizieren wir Stressfaktoren, die im Leben vorkommen und die Depression auslösen können. Das können äußerliche Dinge sein wie Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, finanzielle Probleme oder Einsamkeit. Hier arbeiten wir auch viel sozialtherapeutisch, um solche Dinge anzugehen – wir helfen bei der Herstellung von Kontaktmöglichkeiten, vermitteln Schuldnerberatung oder Gespräche mit Vorgesetzten.

Es gibt aber auch psychologische Stressfaktoren, die in Menschen selbst stattfinden. Das sind dann Dinge wie Glaubenssätze, die Menschen in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit entwickelt haben: „Ich bin nichts wert“, „Ich mache immer alles falsch“, „Ich bin nur etwas wert, wenn ich Leistungen erbringe“. Das sind Glaubenssätze, die man psychotherapeutisch angehen kann, indem man neue Sicht- und Denkweisen entwickelt.

Wie können sich Betroffene Hilfe holen?

Dr. Gregor Leicht: Die niedrigste Schwelle sind die Hausärztinnen und Hausärzte. Der nächste Schritt wären ambulante Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Dann gibt es ambulante Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die Notfallsprechstunden anbieten. Über die Krankenkasse kann man häufig herausfinden, wo man sich da vorstellen kann.

Wo gibt es Anlaufstellen in Hamburg?

Dr. Gregor Leicht: In Hamburg gibt es zum Beispiel im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Polikliniken, also Ambulanzen, zu denen man auch ohne Termin kommen kann. Von dort wird man auch in Spezialambulanzen überwiesen, wenn man auf dem ambulanten Weg nicht weiterkommt.

Man kann sich inzwischen auch gut im Internet informieren, zum Beispiel auf der Seite der Deutschen Depressionshilfe. Dort finden sowohl Angehörige als auch Patienten viele Hilfsangebote und Kontaktmöglichkeiten. Es gibt auch – das ist eine neue Entwicklung aus den letzten Jahren – digitale Gesundheitsanwendungen, die der Hausarzt oder Facharzt verschreiben kann. Das kann hilfreich sein, wenn man sehr lange auf einen Psychotherapieplatz warten muss, was leider oft der Fall ist.

Besonders wichtig: Sobald Angehörige bemerken, dass jemand den Lebensmut verliert, muss es sehr schnell gehen. Dann sollte man zum Beispiel zum Hausarzt gehen und die Betroffenen zu einer Vorstellung im professionellen Setting bewegen.

Warum ist schnelles Handeln so wichtig?

Dr. Gregor Leicht: Weil es sich um vorübergehende Zustände handelt, die man behandeln kann. Deswegen ist es auch so dramatisch, wenn Menschen an dieser Erkrankung ihr Leben verlieren. Eine Depression ist behandelbar – umso dramatischer ist es, wenn ein Mensch daran stirbt.

Über Dr. Gregor Leicht

Priv.-Doz. Dr. med. Gregor Leicht ist der Oberarzt auf der Station für Depressionen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Zudem ist er Leiter des Forschungsbereichs Bildgebung.

Leidest du unter Suizidgedanken?

Hier findest du Hilfe: Telefonnummer 116 117

Das Bild zeigt ein Containerschiff im Hamburger Hafen.

Bild: Dominik Luckmann/Unsplash

12.11.2024 | Meena Stavesand

Mechanik im Alltag: Wie uns Physik täglich bewegt und begeistert

Mechanik begegnet uns überall im Alltag, ob beim Greifen als Baby, beim Fahrrad fahren oder bei Containerschiffen im Hamburger Hafen. Dr. Johanna Peters von der TU Hamburg hat das Lernangebot „Mechanik hautnah“ für die HOOU aufgesetzt. Im Interview erklärt die Ingenieurin, wie die Gesetze der Mechanik unser Leben bestimmen und warum dieses faszinierende Teilgebiet der Physik nicht nur etwas für Mathe-Asse ist. Sie gewährt spannende Einblicke in die Welt der Kräfte und Bewegungen – von Newtons Apfelbaum-Geschichte bis hin zu modernen Anwendungen im Ingenieurwesen.

Was ist Mechanik und was kann ich mir darunter vorstellen?

Dr. Johanna Peters: Mechanik kann man aus unterschiedlichen Richtungen betrachten. Als Menschen kommen wir ganz früh mit Mechanik in Kontakt. Wenn ein Baby anfängt zu strampeln, sich abzudrücken oder zu greifen, dann ist da Mechanik im Spiel.

Mechanik ist ein Teilgebiet der Physik und beschäftigt sich mit Kräften und Bewegungen. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass es Kraft braucht, um sich abzudrücken – etwa mit dem Fuß gegen den Boden- oder um zu greifen – etwa um einen Finger. Das gleiche Prinzip gilt, sobald wir krabbeln oder gehen. Die Reibkraft zwischen unseren Füßen und dem Boden ermöglicht es uns, vorwärts zu kommen.

Mechanik findet also überall statt: in jedem Auto, das fährt, oder Flugzeug, das fliegt. Überall wirken Kräfte, und Bewegung spielt eine Rolle. Und auch, wenn sich etwas nicht bewegt, also in Ruhe ist, wenn also z.B. der Becher auf meinem Schreibtisch steht oder die Elbbrücken den Flussüberspannen, wirken Kräfte. Mechanik ist also überall um uns herum.

Wo begegnen wir Mechanik noch im Alltag?

Dr. Johanna Peters: Da gibt es wirklich viele Beispiele. Reibung ist ein besonders faszinierendes Thema. Ohne Reibung könnte ich nicht auf dem Stuhl sitzen, ich würde sofort wegrutschen. Ohne Reibung könnte ich nicht fahrradfahren. Reibung ist so ein alltägliches Phänomen, dass es uns meist gar nicht mehr bewusst ist.

Ein schönes Beispiel für die Wirkung der Reibungskraft ist auch ein großes Containerschiff im Hamburger Hafen: Es wird nur mit ein paar Seilen an der Hafenkante befestigt, die das Schiff in Position halten. Das funktioniert, weil das Seil um einen Poller geschlungen und die sogenannte Seilreibung exponentiell mit dem Umschlingungswinkel zunimmt.

Ist Reibung ein Grundprinzip der Mechanik?

Dr. Johanna Peters: Nein, das kann man so nicht sagen. Grundprinzipien in der Mechanik gehen tiefer, etwa in die Grundlagen der Bewegungsgesetze (3 Newtonschen Axiome) oder die Tatsache, dass es die Gewichtskraft gibt. Ein bekanntes Beispiel ist Newtons Apfelbaum-Geschichte. Ob sie stimmt, sei dahingestellt, aber es zeigt, wie Menschen angefangen haben, Naturgesetze zu beobachten und zu hinterfragen: „Was passiert da eigentlich, wenn der Apfel fällt?“

Auch bei der Reibung hat man zunächst im Alltag beobachtet, was passiert. Wenn ich meine Hand auf den Tisch drücke und dann seitlich eine Kraft aufbringe, haftet sie zunächst. Wenn ich die Kraft weiter erhöhe, beginnt die Hand  irgendwann zu rutschen  Solche alltäglichen Beobachtungen haben Menschen fasziniert und sie haben versucht, mathematische Beziehungen aufzuschreiben, die diese Phänomene beschreiben können. Die Neugier, zu verstehen, warum etwas so ist, hat die Mechanik hervorgebracht und dazu geführt, dass man Vorhersagen treffen kann.

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Isaac Newton (1643-1727) war ein englischer Universalgelehrter, der mit seinen grundlegenden Arbeiten die Wissenschaft in Physik und Mathematik revolutionierte. Die berühmte Anekdote des fallenden Apfels, die Newton zur Formulierung des Gravitationsgesetzes inspiriert haben soll, ist zwar nicht gesichert, spiegelt aber treffend seine Fähigkeit wider, aus alltäglichen Beobachtungen bahnbrechende Erkenntnisse abzuleiten. Als einer der einflussreichsten Wissenschaftler der Geschichte prägte er maßgeblich unser Verständnis der physikalischen Welt.

Welche grundlegenden Prinzipien gibt es in der Mechanik?

Dr. Johanna Peters: Ein zentrales Prinzip ist zum Beispiel „Kraft = Masse x Beschleunigung“. Wenn ich einen Gegenstand festhalte, wie mein Handy auf der Hand, dann bewegt er sich nicht. Da wirkt die Gewichtskraft, und solange ich das Handy halte, bringe ich mit meiner Hand die entgegengesetzte Kraft auf, sodass das Handy in Ruhe bleibt.  Das bedeutet, dass die Summe der Kräfte, die auf ihn wirkt, null ist. Aber sobald ich das Handy loslasse, ist das Kräftegleichgewicht nicht mehr erfüllt: es wird beschleunigt und fällt Richtung Boden.

Dieses Prinzip findet sich überall – in jedem Auto, das beschleunigt oder abbremst, und bei jeder Maschine, die bewegt wird, bei jedem Objekt oder Gegenstand, der einfach nur so daliegt oder dasteht.

Die Formel zeigt, dass man für Mechanik mathematische Neugier braucht. Stimmt das?

Dr. Johanna Peters: Auf jeden Fall hilft es, sich mit Mathematik auszukennen. Aber man kann auch vieles experimentell herausfinden. Wenn ich einen Gegenstand über eine Fläche schiebe, kann ich ausprobieren, was es braucht, damit er rutscht oder eben haftet. Wenn ich dann erstmal eine Gesetzmäßigkeit festgestellt habe und Gleichungen aufgestellt habe, hilft die Mathematik natürlich sehr, weil ich nicht jede Situation einzeln ausprobieren muss. Mit mathematischen Gleichungen kann ich Dinge berechnen, ohne sie tatsächlich durchzuführen.

In Richtung Ingenieurwesen gedacht bedeutet das, dass ich z.B. verschiedene Varianten für Windrad „einfach“ berechnen kann. Natürlich ist die Berechnung eines Windrades sehr komplex. Aber es geht ja ums Prinzip: Mit mathematischen Modellen kann ich Teile der Wirklichkeit beschreiben und z.B. ausrechnen, wie das Windrad dimensioniert sein muss, damit es den Belastungen durch die auftretenden Kräfte sicher standhält. Für viele Studierende wird Mathematik genau deshalb interessant, weil sie sehen, wie man sie auf solche realen Phänomene anwenden kann.

Wann wusstest du, dass du dich mit Mechanik beschäftigen möchtest?

Dr. Johanna Peters: Ich habe Maschinenbau studiert und wusste am Anfang gar nicht genau, was das ist. Für meine Entscheidung ausschlaggebend war eher ein Bauchgefühl, weil ich Mathe und Experimentieren und spannend fand. Mechanik war dann gleich im ersten Semester ein Grundlagenfach im Maschinenbaustudium und hat mir von Anfang an Spaß gemacht. Die Kombination aus Experimenten und mathematischer Beschreibung hat mich fasziniert.

Ich wurde später Tutorin und habe anderen geholfen, sich in Mechanik zurechtzufinden. Das hat dazu geführt, dass ich in diesem Bereich geblieben bin. Nach dem Studium habe ich an der Uni promoviert und konnte auch in der Lehre tätig sein, was mir viel Freude macht, weil ich gerne komplexe Themen verständlich vermittle.

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Ich denke, dass jeder, der neugierig ist und sich über Zusammenhänge in der Welt wundert, an Mechanik Gefallen finden könnte. Man muss nicht super technikaffin sein, um von Mechanik fasziniert zu sein – es reicht schon, wenn man sich fragt: „Wie funktioniert das eigentlich?“
Dr. Johanna Peters

Was gefällt deinen Studierenden an Mechanik, und was vielleicht weniger?

Dr. Johanna Peters: Mechanik ist im ersten Semester ein Grundlagenfach, und viele haben Schwierigkeiten damit. Die Durchfallquote in Mechanik liegt bei etwa 50 Prozent. Das hat nicht nur mit Mechanik zu tun.

Einige unterschätzen im ersten Semester auch einfach den  Einsatz, den es braucht, um im Studium erfolgreich zu sein. Im ersten Semester hadern aber  einige mit Mechanik, besonders wegen der Mathematik und den abstrakten Konzepten. Aber die Studierenden, die es noch mal im zweiten Semester angehen, haben oft den Aha-Moment, wenn sie merken, dass Mechanik wirklich nur auf wenigen Grundprinzipien beruht, die in immer wieder neuen Kontexten angewendet werden.

Sie haben Freude daran, wenn sie verstehen wie viele Dinge man mit Mechanik erklären kann. Das gibt ihnen oft neues Selbstvertrauen, und manche, die erst total frustriert waren, entdecken dann ihre Begeisterung für das Fach. „Ich hätte nie gedacht, dass Mechanik so viel Spaß machen kann!“, hat eine Studentin mal zu mir gesagt.

Wem würdest du ein Studium mit Mechanik empfehlen?

Dr. Johanna Peters: Ich denke, dass jeder, der neugierig ist und sich über Zusammenhänge in der Welt wundert, an Mechanik Gefallen finden könnte. Man muss nicht super technikaffin sein, um von Mechanik fasziniert zu sein – es reicht schon, wenn man sich fragt: „Wie funktioniert das eigentlich?“ Wenn man Interesse daran hat, zu verstehen, wie Dinge funktionieren, dann lohnt es sich, Mechanik zu entdecken und weiter zu erforschen.

Und was, wenn man keine Affinität zur Mathematik hat? Ist das ein Hindernis?

Dr. Johanna Peters: Mathematik kann natürlich eine Hürde sein, aber die lässt sich mit Übung überwinden, wenn das Interesse groß genug ist. Mathe ist für Mechanik einfach  ein wichtiges Werkzeug. Im Sport muss man ja auch einzelne Techniken Trainieren – Dribbeln und Flanken z.B. beim Fußball Und so muss man eben auch den Umgang mit Gleichungen oder Winkelfunktionen trainieren. Wenn man ein Ziel vor Augen hat, wird die Mathematik zu einem Mittel, um dahin zu gelangen, und kann dann sogar Spaß machen.

Du willst die Welt um dich herum besser verstehen? Hier kannst du mit Beispielen und Experimenten lernen, wie Ingenieur:innen denken und arbeiten.

Zum Lernangebot

Du hast den Kursus „Mechanik hautnah“ erstellt, der auch Alltagsbeispiele thematisiert. Was erwartet einen da?

Dr. Johanna Peters: Das Lernangebot ist sehr alltagsnah. Ein Beispiel daraus: Ich habe ein Frühstücksbrett hochkant aufgestellt, lege nun eine Scheibe Toast darauf und balanciere es aus. Dann kann ich etwas über den Schwerpunkt lernen.

Wenn ich nun auf eine Seite ein Stück Käse lege, muss ich das Brot verschieben, um es im Gleichgewicht zu halten. Wie weit muss ich das Toast auf dem Brett verschieben, damit es nicht runterfällt? Das zeigt anschaulich die Veränderung der Lage  des Schwerpunktes. So können Teilnehmende selbst experimentieren und verstehen, was Mechanik bedeutet, bevor die Mathematik ins Spiel kommt.

Du arbeitest kontinuierlich an deinem Kurs. Wie geht es damit weiter?

Dr. Johanna Peters: Ich plane, ab 2025 besonders anschauliche Erklärvideos hinzuzufügen. Dabei nutze ich ein transparentes Glasboard, sodass die Lernenden genau sehen, wie ich vorgehe, und auch meine Überlegungen nachvollziehen können. Ich hoffe, dass das die Mechanik noch greifbarer macht und den Spaß am Lernen fördert.

Über Dr. Johanna Peters:

Dr. Johanna Peters ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mechanik und Meerestechnik der Technischen Universität Hamburg. Sie ist Maschinenbauingenieurin, arbeitet liebend gerne mit unterschiedlichen Menschen und hat großen Spaß daran, immer wieder neue Wege zu entdecken, vermeintlich schwierige Themen strukturiert, detailliert und „begreifbar“ darzustellen.

Das Bild zeigt eine hochschwangere Frau, die sich auf ein Krankenhausbett lehnt.

Bild: Jimmy Conover/Unsplash

05.11.2024 | Meena Stavesand

Beruhigende Klänge statt Krankenhauslärm: Wie Klangkunst und Sounddesign die Atmosphäre verbessern

Wie können beruhigende Klänge das Heilungserlebnis im Krankenhaus verbessern? Marie Koldkjær Højlund von der Universität Aarhus zeigt in ihrem Vortrag bei den Open Lectures zu Healing Soundscapes, wie gezielter Einsatz von Klangkunst in Krankenhäusern eine unterstützende Atmosphäre schafft – gerade auch in Kreißsälen. Sie erklärt, warum sanfte Klänge in Krankenhäusern das Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden stärken können.

Die dänische Klangforscherin Marie Koldkjær Højlund setzt sich dafür ein, die laute und oft beängstigende Geräuschkulisse in Krankenhäusern zu verändern und durch beruhigende Klänge zu ergänzen. Dabei geht es darum, den Patientinnen und Patienten eine Umgebung zu bieten, in der sie sich sicherer und wohler fühlen – und sogar Klänge auswählen können, die ihnen guttun.

Die Motivation für ihre Forschung stammt aus einer persönlichen Erfahrung: Nach einem Krankenhausaufenthalt erkannte sie, wie sehr die oft hektischen und lauten Geräusche ihren eigenen Stress verstärkten. „Lärm ist einer der größten Stressfaktoren in Krankenhäusern, und ich weiß, dass ich mit diesem Gefühl nicht allein bin,“ erzählt die Expertin. Daher ist es ihr ein großes Anliegen, eine Umgebung zu schaffen, die den Heilungsprozess unterstützt, indem sie auf sanfte und wohltuende Klänge setzt.

Kreißsäle mit Klangkunst und Lichteffekten für mehr Ruhe

Im Rahmen ihrer Forschung arbeitet sie mit multisensorischen Ansätzen, die den gesamten Raum beeinflussen. So wurden in dänischen Krankenhäusern spezielle Kreißsäle gestaltet, die durch Klangkunst und gezielte Lichteffekte eine beruhigende Atmosphäre schaffen. Dies hilft nicht nur den Patienten, sondern auch dem Pflegepersonal und den Angehörigen, eine stressige Situation als weniger belastend zu erleben.

Darüber spricht sie am 18. November unter dem Titel „Multisensory artwork and soundscapes in the hospital – an attuning approach in healthcare design“ im ligeti zentrum in Hamburg-Harburg. Der Vortrag gehört zu der Reihe Open Lectures zu Healing Soundscapes. Eine Anmeldung für die Veranstaltung ist erforderlich.

Mit den Open Lecture Series öffnet das ligeti zentrum ein Forum, um mit internationalen Fachkolleg:innen in spannenden Vorträgen die Themen der verschiedenen Laboratorien aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und mit dem Publikum zu diskutieren. Am 12. November kommt die Klangforscherin Marie Koldkjær Højlund. Sie hat uns vorab ein Interview gegeben – deutsche Übersetzung unten:

Marie, explain the topic of your presentation to a ten-year-old child in a few words. 

Marie Koldkjær Højlund: In hospitals, we work hard to help sick people feel better quickly. While we usually focus on using medicine to treat their bodies, we often forget that the sounds around us can also affect how they feel and heal. My research looks at how the loud and scary sounds in hospitals can be mixed with softer, calming sounds. This helps create a more pleasant environment and gives patients a chance to choose the sounds they like, making them feel safer and more comfortable.

Why is this topic important to you and what value does it have for people?

Marie Koldkjær Højlund: My research interest began with a personal experience of being in the hospital, where I felt firsthand how the alarming sounds affected my sense of safety. Since we know that noise is one of the biggest stressors in hospitals, I realize I am not alone in this feeling. This is why I believe this area of research is incredibly important.

What is your motivation for taking part in the Open Lectures Healing Soundscapes as a speaker?

Marie Koldkjær Højlund: The field of healing soundscape design is expanding, but I believe we are still a relatively small group working in this area. I am excited to see that you have initiated an open lecture series, and I hope we can come together to share our knowledge and experiences to help grow and enhance this field in the future!

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Da wir wissen, dass Lärm einer der größten Stressfaktoren in Krankenhäusern ist, weiß ich, dass ich mit diesem Gefühl nicht allein bin. Deshalb halte ich dieses Forschungsgebiet für unglaublich wichtig.
Marie Koldkjær Højlund

Deutsche Übersetzung des Interviews

Erkläre einem zehnjährigen Kind in wenigen Worten das Thema deines Vortrags.

Marie Koldkjær Højlund: In Krankenhäusern arbeiten wir hart daran, dass es kranken Menschen schnell besser geht. Während wir uns in der Regel darauf konzentrieren, ihren Körper mit Medikamenten zu behandeln, vergessen wir oft, dass auch die Geräusche um uns herum einen Einfluss darauf haben können, wie sie sich fühlen und wie sie heilen. In meiner Forschung geht es darum, wie die lauten und beängstigenden Geräusche in Krankenhäusern mit leiseren, beruhigenden Klängen gemischt werden können. Das trägt zu einer angenehmeren Umgebung bei und gibt den Patienten die Möglichkeit, die Klänge auszuwählen, die sie mögen, so dass sie sich sicherer und wohler fühlen.

Warum ist dieses Thema für dich so wichtig und welchen Wert hat es für die Menschen?

Marie Koldkjær Højlund: Mein Forschungsinteresse begann mit einer persönlichen Erfahrung in einem Krankenhaus, wo ich am eigenen Leib spürte, wie alarmierende Geräusche mein Sicherheitsgefühl beeinträchtigten. Da wir wissen, dass Lärm einer der größten Stressfaktoren in Krankenhäusern ist, weiß ich, dass ich mit diesem Gefühl nicht allein bin. Deshalb halte ich dieses Forschungsgebiet für unglaublich wichtig.

Was ist deine Motivation, als Referentin an den Open Lectures Healing Soundscapes teilzunehmen?

Marie Koldkjær Højlund: Das Feld des Healing Soundscapes Design wird immer größer, aber ich glaube, wir sind immer noch eine relativ kleine Gruppe, die in diesem Bereich arbeitet. Ich freue mich, dass Sie eine offene Vortragsreihe ins Leben gerufen haben und hoffe, dass wir zusammenkommen können, um unser Wissen und unsere Erfahrungen auszutauschen, damit dieser Bereich in Zukunft weiter wachsen und sich verbessern kann!

Über Marie Koldkjær Højlund

Marie Koldkjær Højlund is an associate professor of sounds studies, audio design and musicology at Aarhus University as well as a composer, musician and preforming sound artist. For years she has been researching what everyday sound environments mean for our way of life. She is interested in listening and sonic citizenship in a variety of contexts from a practice-based and artistic approach.

Committed to crafting sound technologies for alternative listening experiences, she co-founded The Overheard with Morten Riis, presenting large-scale sound sculptures across Denmark. As a composer, her sonic expressions have reverberated in diverse realms—from bands and albums to compositions for TV, theatre, and computer games. Recently she was honored with the Carl Nielsen and Anne Marie Carl-Nielsens award as a composer. During 2023 and 2024 she is a guest researcher at the Pufendorf Institute of Advanced Studies at Lunds University in the theme „Sound of Democracy“.

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