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26.09.2025 | hoouadmin
Was passiert, wenn Umweltwissen ein Eigenleben entwickelt?
„RUVIVAL“, eines der umfangreichsten HOOU-Lernangebote, erreicht Zielgruppen, an die ursprünglich kaum jemand gedacht hatte: von Hamburger Kleingärtner:innen bis zu Geografieklassen. Dr. Ruth Schaldach, die das Projekt vor zehn Jahren mit einem internationalen Team startete, blickt auf eine Erfolgsgeschichte zurück, die sie selbst überrascht hat. Das Interview führte Dorothee Schielein (TU Hamburg).
Als wir mit der HOOU begannen, wusste noch niemand, wie die Lernangebote der HOOU aussehen würden. Was war deine Vorstellung, als du angesprochen wurdest, mitzumachen?
Dr. Ruth Schaldach: Im Vorfeld war ich an der TU Hamburg bereits mit der Modernisierung der Lehrveranstaltungen beschäftigt. Diese Projekte waren im Bereich des Umweltingenieurwesens und beschäftigten sich mit innovativen, interaktiven Lehr-Lernkonzepten. Dies war ein guter Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit der HOOU bei der Entwicklung dieser Lehr-Lernkonzepte für die digitale Lehre. Es ging nicht nur darum, die eigene Lehre innerhalb der Universität neu zu konzipieren, sondern auch darum, das tolle Wissen, das an der Universität stattfindet, die Diskussionen und die wichtigen Inhalte, gerade in der Umwelttechnik, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit sie von allen genutzt werden können.
Wolltet ihr von Anfang an mit „RUVIVAL“ ein bestimmtes Ziel erreichen? Oder habt ihr einfach mal angefangen und dann geschaut, wie es läuft?
In Teilen hatten wir schon ein sehr klares Ziel, das aber sehr ambitioniert war. Wir wollten dazu beitragen, dass nachhaltige Praktiken (des Umweltingenieurwesens) aus der Universität in die Welt getragen werden, damit das Wissen online zugänglich ist, angewendet wird und zu globalen Veränderungen führt. Zunächst waren wir ein kleines Projekt und haben in einem überschaubaren Rahmen an Inhalten gearbeitet und diese dann immer weiter ausgeweitet. Es ging darum, in Gegenden, in denen bestimmte Praktiken die Böden unfruchtbar gemacht haben, diese wiederzubeleben. Das steckt auch ein bisschen in unserem Projektnamen (siehe Infokasten zu „RUVIVAL“).
Während des Projekts haben wir gemerkt, dass das Ziel, das auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet war, auch ganz andere Zielgruppen angesprochen hat, als wir ursprünglich dachten. Das waren Entwicklungen, die dann manchmal innerhalb eines Projektes stattfanden, die sehr positiv und freudig waren. Zum Beispiel kam eine Schule auf uns zu, die meinte: „Hey, das sind ja die Geografieinhalte von unserer 12. Klasse.“ Wir haben vorher nicht den Geografielehrplan der 12. Klasse angesehen, aber einige Inhalte daraus treffen wohl zu. Oder Menschen einer Kleingartensiedlung in Deutschland, die sehr gerne auf unsere Inhalte zugegriffen haben, um sich Anleitungen zu holen, wie sie z. B. ein Kompostklo oder eine Regentonne bauen können.

Ich erinnere mich an eine Erzählung, dass du in dem Ferienhaus deiner Familie eines der Projekte umgesetzt hast, die bei „RUVIVAL“ veröffentlicht wurden. Wie war das genau?
Ja, es hat auch seine Vorteile, an diesem Projekt so maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Denn: ich bin keine Umweltingenieurin. Ich komme aus den Geisteswissenschaften, bin Politikwissenschaftlerin, obwohl ich auch mal eine Tischlerlehre gemacht habe. Das war im Kontext dieses Ferienhauses praktisch für mich, dass ich dieses Wissen selbst anwenden und dann ausprobieren konnte. Ich habe dort eine Komposttoilette und ein Regenwassersammelsystem gebaut, bei denen ich eben auch verschiedenes Wissen von der „RUVIVAL“-Webseite genutzt habe. Und ganz aktuell baue ich eine Pflanzenkläranlage, bei der ich mich auf manche Inhalte der „RUVIVAL“-Seite stütze.

Der Name „RUVIVAL“ setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern RU = rural (ländlich) und VIVAL = vival (lebendig) und thematisiert die ökologische Wiederbelebung des ländlichen Raums. Ausgehend von Trockenheit, Wasserknappheit, Bodenerosion, Rückgang der Vegetation und der Ernteerträge stellt sich die Frage, welche Ursachen dafür verantwortlich sind und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um unfruchtbares, degradiertes Land wieder zu regenerieren. Die Inhalte können in Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Urdu genutzt werden.
Wenn das eigene Lernangebot dafür genutzt wird, um seine eigenen lebensweltlichen Herausforderungen zu meistern, ist das auf jeden Fall eine Evaluation höchsten Grades. Wenn du dir „RUVIVAL“ als abgeschlossenes Projekt anschaust, woran denkst du besonders gern zurück? Gibt es Menschen, Themen oder Situationen, an die du dich gerne erinnerst?
Besonders hat mir an dem Projekt gefallen, dass wir in einem sehr internationalen Team zusammengearbeitet haben. Dabei konnten wir Brücken zwischen der wissenschaftlichen Arbeit von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Studierenden schlagen, indem sie als ein gemeinsames Projekt interaktiv zusammengearbeitet haben. Wir haben zum Beispiel für zwei oder drei Inhalte Schulklassen eingeladen, um diese gemeinsam zu erstellen. Das war ein Charakter der Produktion, den ich sehr genossen habe, viele Menschen in die Produktion des gesamten Projektes zu integrieren. Zu sehen ist das auf der „Team-Seite“ (siehe: https://www.ruvival.de/de/ruvival-team/) unserer Website. Dort ist eine sehr, sehr lange Liste von sehr vielen Menschen, die sich mit großem Engagement und Enthusiasmus eingebracht haben.

Es hat vielen sehr viel Spaß gemacht, über den fachlichen Tellerrand zu schauen und andere Methoden der Wissensvermittlung kennenzulernen.Dr. Ruth Schaldach
Ich finde, das spürt man. Die einzelnen Artefakte sind wirklich mit so viel Liebe gemacht.
Ja, das war auch ein Feedback der Beteiligten. Wir haben für einige Videos die Stop-Motion-Technik verwendet. Das war eine schöne Erfahrung. Auch die Leute, die sonst eher aus dem technischen, also ingenieurwissenschaftlichen Bereich kamen, haben kreative Videos erstellt. Das hat vielen sehr, sehr viel Spaß gemacht, mal über den fachlichen Tellerrand zu schauen und andere Methoden der Wissensvermittlung kennenzulernen. Nicht nur ein wissenschaftliches Paper zu schreiben, sondern einen interaktiven Inhalt zu gestalten, ein Berechnungstool zu programmieren oder eben ein Stop-Motion-Video zu produzieren.

RUVIVAL - Den ländlichen Raum beleben
RUVIVAL produziert frei zugängliche E-Learning-Materialien, die sich mit der Wiederherstellung geschädigter Gebiete und der Schaffung neuer, nicht nur bewohnbarer, sondern auch lebenswerter Räume befassen.
Gibt es einen Teil von „RUVIVAL“, von dem du sagen würdest: Ja, das ist eigentlich mein Lieblingselement oder mein Lieblingsbild, -film, -text?
Also, ich habe den Teil der Stop-Motion-Videos schon sehr lieb gewonnen. Da haben wir viel Liebe reingesteckt. Das ist für mich eine Form der Kommunikation, die wir sehr geschätzt haben, die aber auch unglaublich herausfordernd war. Es ist nicht einfach, komplexe Inhalte, für die man sonst ein ganzes Paper schreiben würde, in weniger als drei Minuten darzustellen. Aber es hat uns auch sehr viel Spaß gemacht, uns in diesen Bereich der Videoproduktion hineinzufuchsen.
Wenn du anderen Projekten etwas mitgeben würdest, die dich fragen, ob sie sich für ein HOOU-Projekt bewerben sollen, was wäre deine Antwort?
Ich kann auf alle Fälle empfehlen, sich bei der HOOU an der TU Hamburg zu bewerben, um dort mit einer Projektidee in die „HOOU-Familie“ aufgenommen zu werden. Einerseits die Möglichkeit zu haben, sehr kreativ neue Formen des digitalen Lernens auszuprobieren und andererseits von einem tollen Team unterstützt zu werden, ist super. Dazu zählten die Hinweise und fachliche Unterstützung, bei denen wir am Anfang nicht wussten, wie wir sie (technisch) umsetzen können. Es war aber auch wichtig, dass wir an den regelmäßigen Treffen teilgenommen haben.
Hättest du für „RUVIVAL“ noch Wünsche für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass es so weitergeht wie in den vergangenen Jahren, dass die Inhalte ein gewisses Eigenleben entwickeln. Denn wir haben gesehen, dass die Inhalte mit anderen Websites verlinkt werden. Die Menschen arbeiten mit den Inhalten und sie werden weitergetragen. Das ist etwas, was ich mir wünsche, dass es so weitergeht und dass die Ideen aufgegriffen, verändert, verbessert, aktualisiert und angewendet werden.

4226.10: Ruth Schaldach – RUVIVAL Universum
Die Projektleiterin der ersten Stunde, Dr. Ruth Schaldach, entwickelte mit ihrem großen, internationalen Team aus studentischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen das bis heute umfangreichste Lernangebot der HOOU: RUVIVAL. In unserem Gespräch blicken wir zurück auf 10 Jahre produktive Zusammenarbeit.
Vielen Dank für die schönen Einblicke und das tolle Projekt „RUVIVAL“, das ich immer sehr gerne weiterempfehle und als Vorbild für zukünftige Projekte sehe.
Ja, vielen Dank auch an dich. Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal erwähnen, dass sehr, sehr viele Menschen mit großem Enthusiasmus an diesem Universum gearbeitet haben. Ich möchte mich noch einmal bei allen bedanken, dass sie sich so eingesetzt haben, „RUVIVAL“ in diesem Umfang realisieren konnten.
Über Dr. Ruth Schaldach

Dr. Ruth Schaldach ist Beraterin bei der IFB Hamburg und zuständig für das Enterprise Europe Network. Zuvor war sie an der Technischen Universität Hamburg mit der Leitung von Projekten im Bereich innovativer Lehre und digitaler Wissenschaftskommunikation betraut, zu denen auch das Projekt „RUVIVAL“ gehörte. Ihre Promotion befasst sich mit dem Thema Wasserressourcen und ist im Bereich der Politikwissenschaften angesiedelt. Darüber hinaus hat sie einen Master-Abschluss in Internationalen Beziehungen (Macquarie University, Sydney) und einen Master-Abschluss in Europäischen Studien (Universität Hamburg).