Eine Frau steht vor einem Supermarktregal und greift zu.

Bild: Joshua Rawson-Harris

16.10.2024 | Meena Stavesand

Nudging: Wie kleine Schubser im Supermarkt zu gesunder Ernährung führen können

Gesunde Ernährung beginnt oft mit kleinen Entscheidungen – doch was wäre, wenn uns diese Entscheidungen leichter gemacht würden? Dank Nudging, einem cleveren Konzept der Verhaltensökonomie, werden wir beispielsweise im Supermarkt subtil zu besseren Lebensmitteln „geschubst“. Erfahre, wie diese unsichtbaren Anstupser funktionieren und wie sie dir helfen können, gesündere Entscheidungen zu treffen – ganz ohne Zwang!

Stell dir vor, du gehst hungrig in den Supermarkt. Du schlenderst durch die Gänge, die Farben und Formen der verpackten Lebensmittel blitzen dir entgegen. Der Arbeitstag war lang und jetzt ist es ja auch schon fast Abend, heißt also: Du hast eigentlich keine Lust, aufwendig den Kochlöffel zu schwingen. Was tun?

Deine Hand wandert in Richtung Tiefkühlpizza – doch halt! Direkt hinter der Tiefkühltruhe steht in Augenhöhe ein schön arrangiertes Regal mit frischen Salaten. Der bunte Mix aus grünen Blättern, roten Tomaten und gelber Paprika sieht plötzlich doch recht verlockend aus. Du nimmst den Salat in die Hand und legst die Pizza wieder weg. Ein kleiner Anstupser – ein Nudge, wenn man so will – hat deine Entscheidung beeinflusst, ohne dass dir jemand gesagt hat, was du zu tun hast.

Trotz Schubser hast du immer die freie Wahl

Genau darum geht es beim Nudging. Es ist eine Art, das Verhalten von uns Konsumentinnen und Konsumenten sanft zu lenken, ohne die Wahlfreiheit zu nehmen. Du hast dich für die gesündere Option entschieden, weil sie passend präsentiert wurde: Sie war nicht nur leicht zugänglich, sondern sah auch noch ansprechend aus. Dabei hast du gar nicht gemerkt, dass du „gestupst“ wurdest – und genau das macht Nudging so spannend.

Im Kontext der Ernährung kann Nudging eine entscheidende Rolle spielen, um uns zu helfen, gesündere und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Denn seien wir mal ehrlich: Wenn die gesunde Wahl die einfache Wahl ist, warum sollten wir sie nicht treffen? Genau darum geht es auch in unserem kostenlosen Lernangebot „Nudging in der Ernährung“ der HAW Hamburg, das das Prinzip detailliert erläutert. Es gibt auch bereits eine Fortsetzung des Kurses: Das Lernangebot „Nudging für mehr Gesundheit und Nachhaltigkeit“ ist die Weiterentwicklung und ein innovatives Schulungskonzept der HAW Hamburg, das Multiplikatoren:innen dabei unterstützt, Nudging als Maßnahme zur Stärkung der Gesundheit und Nachhaltigkeit einzusetzen.

Information image

„Nudging“ bedeutet im Englischen „anstupsen“. In der Wissenschaft stehen diese „Anstupser“ für kleine Impulse, die das Verhalten beeinflussen – leicht und unkompliziert. Nudging wirkt! Das haben Studien in den vergangenen zehn Jahren belegt. Eines ist dabei aber ganz wichtig: Solche Anstupser dürfen nur eingesetzt werden, um das Wohl des Einzelnen oder der Gesellschaft zu fördern.

Die Begründer des Nudging-Konzepts

Die Idee des Nudging wurde von zwei Experten auf ihrem Gebiet entwickelt: Richard Thaler, einem Wirtschaftsprofessor, und Cass Sunstein, einem Rechtswissenschaftler. Gemeinsam veröffentlichten sie 2008 das Buch Nudge – wie man kluge Entscheidungen anstößt, das weltweite Aufmerksamkeit erregte.

Ihre Arbeit brachte das Konzept auf die politische und wirtschaftliche Bühne, indem sie zeigten, wie Menschen oft irrational entscheiden, aber durch kleine „Schubser“ in die richtige Richtung gelenkt werden können – ohne Zwang, sondern durch subtile Änderungen in der Art, wie Entscheidungen präsentiert werden.

Was genau macht Nudging aus?

Nudging ist eine sanfte Verhaltenslenkung, die auf einigen zentralen Prinzipien basiert:

  1. Veränderung der Entscheidungsarchitektur:
    Wie Optionen präsentiert werden, beeinflusst maßgeblich die Entscheidungen, die Menschen treffen. Ein Nudge sorgt dafür, dass die vorteilhaftere Option sichtbarer oder zugänglicher ist, ohne andere Optionen zu verbieten.
  2. Keine Verbote:
    Nudging muss ohne Verbote oder ökonomische Anreize auskommen. Eine Manipulation aus betriebswirtschaftlichen Gründen zugunsten von Unternehmen wird damit ausgeschlossen.
  3. Erhalt der Wahlfreiheit:
    Menschen werden beim Nudging zu nichts gezwungen, sie behalten alle Optionen. Der Nudge ist kein Zwang, sondern lediglich ein Schubs in eine bestimmte Richtung.
  4. Einfachheit und Attraktivität:
    Die gesündere oder nachhaltigere Option wird oft einfacher und attraktiver dargestellt. Das kann eine prominente Platzierung und eine ansprechende Verpackung sein, ohne das andere Optionen degradiert werden.
  5. Ethisch und moralisch vertretbar:
    Die Maßnahmen des Nudge dienen dem Wohl des Einzelnen oder der Gesellschaft. Sie sind ethisch und moralisch vertretbar.
Information image

Richard Thaler, Mitbegründer des Nudging-Konzepts, wurde 2017 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Er erhielt die renommierte Auszeichnung für seine bahnbrechende Arbeit in der Verhaltensökonomie, insbesondere dafür, wie menschliche Verhaltensmuster – oft geprägt von emotionalen und irrationalen Entscheidungen – das ökonomische Denken und Handeln beeinflussen.

Was Nudging nicht ist

Nudging darf nicht mit Manipulation oder Bevormundung verwechselt werden. Im Supermarkt bedeutet ein Nudge nicht, dass Kundinnen und Kunden durch irreführende Werbung oder aggressive Verkaufsstrategien zu einem Kauf gedrängt werden. Es handelt sich nicht um versteckte Tricks oder psychologische Manipulation, die die Konsumentinnen und Konsumenten überrumpeln.

Vielmehr bleibt die Wahlfreiheit vollkommen erhalten – die Pizza ist immer noch da, sie steht nur nicht mehr so prominent im Vordergrund. Ein Nudge sorgt dafür, dass die gesündere oder nachhaltigere Option sichtbarer und einfacher zu wählen ist, ohne Druck oder Zwang. Nudging zielt darauf ab, Entscheidungen zu erleichtern, nicht zu diktieren.

Nudging im Alltag

Die kleinen Anstupser finden wir in unserem Alltag mittlerweile ganz oft, ohne sie als solche wahrzunehmen. Fünf Beispiele machen dies deutlich:

  • In der Kantine wird als Standardbeilage Salat statt Pommes Frites angeboten.
  • Fragen auf einem Formular werden so formuliert, dass sie nicht verwirrend sind.
  • Am Waschbecken in öffentlichen Toiletten wird darauf hingewiesen, dass sich 90 Prozent der Menschen für 20 Sekunden die Hände waschen.
  • Gesunde Speisen werden auf Augenhöhe angeboten – einfach zu sehen und zu erreichen.
  • Plakate oder Briefe erinnern an Wahlen.

Diese Situationen hatten wir wohl alle bereits, haben aber nicht bemerkt, dass es sich dabei oft um Nudging handelt. Warum diese Beispiele genau Nudging sind, erklärt das Lernangebot „Nudging in der Ernährung“ der HAW Hamburg noch genauer.

Grundlagen für die Anwendung von Nudging im Bereich der Ernährung und Gesundheit.

Zum Lernangebot

Das Problem ungesunder Ernährung ist global

In einer Welt, in der sich ungesunde Essgewohnheiten zunehmend auf die Gesundheit auswirken, könnte Nudging ein mächtiges Instrument sein, um Menschen noch effektiver zu gesünderen Entscheidungen zu bewegen.

Das Problem ungesunder Ernährung ist global: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ungesunde Ernährung ein Risikofaktor für viele Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Diabetes.

Insgesamt sollen laut WHO zwei Milliarden Menschen an Übergewicht und Adipositas (starkes Übergewicht hin zu Fettleibigkeit) leiden. Und tatsächlich sterben laut einer Studie von 2019 weltweit schätzungsweise 11 Millionen Menschen jährlich an den Folgen ihrer ungesunden Ernährung. Das sind alarmierende Zahlen eines globalen Problems.

Knapp ein Fünftel der Erwachsenen in Deutschland leiden an Adipositas

In Deutschland sind die Zahlen ebenfalls besorgniserregend: 60 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen sind laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) von Übergewicht betroffen. Fast ein Fünftel der Erwachsenen (19 Prozent) wiesen eine Adipositas auf, so das RKI weiter.

Besonders bei Kindern ist die Entwicklung bedenklich: Fast 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden dem RKI zufolge an Übergewicht, etwa 6 Prozent an Adipositas. Diese Trends verdeutlichen, wie notwendig es ist, gesündere Entscheidungen zu fördern.

Dieser Online-Kurs führt Multiplikatoren und interessierte Personen in den Einsatz von Nudging zur Förderung von Gesundheit und Nachhaltigkeit ein. Das Schulungskonzept ermöglicht eine schnelle Einarbeitung und praktische Anwendung des Gelernten. Der Kurs richtet sich an Fachkräfte und Einzelpersonen mit Interesse an Gesundheit und Nachhaltigkeit, ist kostenlos und flexibel online zugänglich. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis von Nudging zu entwickeln und Teilnehmende zur Anwendung im Beruf oder Alltag zu befähigen. Durch Quizzes und Übungen können Teilnehmende ihr Wissen vertiefen, mit dem Ziel, Nudging effektiv für Gesundheit und Nachhaltigkeit einzusetzen.

Zum Lernangebot

Mit Nudging zu gesünderen Alternativen greifen

Hier kann neben vielen weiteren Maßnahmen zur Gesundheitsförderung auch Nudging ein Baustein sein: Mit gezielten Maßnahmen in Supermärkten, Kantinen und der Lebensmittelindustrie könnten Menschen leichter zu gesünderen Alternativen greifen. Vielleicht war dir das Konzept des Nudging bisher fremd, vielleicht hast du es aber auch schon unbewusst in deinem Alltag erlebt. Aber letztlich liegt es an uns, die Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen.

Lass uns diese „sanften Stupser“ öfter mal nutzen, um unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit aktiv zu fördern. Eine gesunde Ernährung ist der Schlüssel zu einem langen, glücklichen Leben – und Nudging kann uns dabei helfen, den richtigen Weg einzuschlagen, ohne dass wir es schwer haben.