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18.09.2025 | Paula Guglielmi
Von Krankheitserregern zu Umwelthelfern: Die faszinierende Welt der Mikrobiologie
Welches Extremophil bist du? Diese Frage klingt wie ein Scherz, ist aber der Türöffner zu einem der kreativsten Wissenschaftskurse im Netz. Dr. Carola Schröder und Dr. Philip Busch haben ihre Mikrobiologie-Forschung an der TU Hamburg in „MikiE“ verwandelt – einen kostenlosen HOOU-Kurs, der Stroh zu Bioethanol macht, Waschmittel revolutioniert und zeigt, warum die allermeisten Mikroben unsere Freunde sind.
Von Mikroben soll man sich fernhalten, da sie Krankheitserreger sind, richtig? Weit gefehlt! Dr. Carola Schröder, Mikrobiologin und ehemalige Projektdurchführende des Lernangebots „Mikroben im Einsatz (MikiE)“ klärt auf: „Nur sehr wenige dieser winzigen Organismen sind tatsächlich für Krankheiten beim Menschen verantwortlich. Vielmehr sind Mikroben wahre Schätze der Natur, denn sie produzieren Enzyme, die in verschiedenen technischen Bereichen wertvolle Dienste leisten können – sei es bei der Herstellung umweltfreundlicher Waschmittel oder der Umwandlung von Stroh zu Zucker und weiter zu Bioethanol.“

MikiE - Mikroben im Einsatz
Ein Angebot des Instituts für Technische Mikrobiologie der Technischen Universität Hamburg (TUHH) in den Bereichen Mikrobiologie und Biotechnologie.
Der Begriff „Mikroben“ bezeichnet winzige Mikroorganismen wie Bakterien, Mikroalgen und Pilze, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. MikiE konzentriert sich besonders auf extremophile Mikroorganismen, die an extreme Umweltbedingungen wie hohe Temperaturen, extreme pH-Werte, hohen Salzgehalt oder hohen Druck angepasst sind.
Virtuelles Labor macht Forschung erlebbar
MikiE wurde 2017 am Institut für Technische Mikrobiologie der TU Hamburg entwickelt. Mit großem Engagement und Kreativität hat das Team ein spannendes und lehrreiches Lernangebot geschaffen, das Einblicke in die Welt der technischen Mikrobiologie bietet. Dank allgemein verständlicher Texte, ansprechender Erklärvideos und eines virtuellen Labors wurde ihre Wissenschaft für alle zugänglich gemacht. So kann jede:r in die Rolle von Mikrobiolog:innen schlüpfen und die faszinierende Welt der Mikroben entdecken.
Welches Extremophil bist du?
Der Einstieg in das Lernangebot ist humorvoll gestaltet: Mit dem Test „Welches Extremophil bist du?“ kann man selbst herausfinden, welches kleine Lebewesen man sein könnte, wäre man eine Mikrobe. „Diese Idee entstand in einem Workshop der HOOU an der TU Hamburg, als jemand die Psychotests von Zeitschriften erwähnte“, erzählt Carola. Im Test beantwortet man Fragen wie „Wo machst du am liebsten Urlaub?“ oder „Was isst du am liebsten?“.

Mikroben sind winzige Lebewesen, die wir nur unter dem Mikroskop sehen können. Dazu gehören Bakterien, Pilze und Algen. Die meisten von uns denken bei Mikroben an Krankheiten, aber das stimmt nicht: Nur wenige Mikroben machen uns krank. Die meisten sind nützlich oder völlig harmlos. Mikroben helfen uns beim Verdauen, produzieren Sauerstoff und werden für die Herstellung von Brot, Bier oder Medikamenten gebraucht. Extremophile Mikroben sind besonders zäh und können auch dort leben, wo es sehr heiß, kalt oder salzig ist.
Am Ende bekommt man eine passende Mikrobe zugewiesen, die durch eine schöne Zeichnung von Dr. Christin Burkhardt und eine kleine Beschreibung dargestellt wird. Obwohl die Namen komplex sind, wie Halomonas elongata oder Colwellia piezophila, konnten sich viele Teilnehmende ihre zugewiesene Mikrobe sehr gut merken: „Selbst nach zwei Jahren erinnerten sich viele noch an ihr Ergebnis“, erzählt Carola.
Aus Stroh wird Zucker und Waschmittel umweltfreundlicher
Der Inhalt von MikiE ist eng mit der Forschung der Projektdurchführenden verbunden, wie Carola erzählt: „Wir hatten ein Projekt mit Waschmittelenzymen, um das Waschen umweltfreundlicher zu machen. Ein weiteres Thema war der Abbau von Stroh, um Zucker zu gewinnen und daraus Bioethanol herzustellen. Das war zum Beispiel mein Promotionsthema. Einige Themen der eigenen Forschung sind so in das Lernangebot eingeflossen, und das eigene Interesse spiegelt sich darin wider.“
Mit den Beispielen „Eco Washing mit Enzymen“ und „Green Mobility mit Bioethanol“ zeigen die Forschenden im Lernangebot, wie Enzyme unseren Alltag effizienter und umweltfreundlicher gestalten können. Mit MikiE lernt man, wie Mikrobiolog:innen nach solchen interessanten Enzymen suchen:
Zunächst wird die Erbinformation der Mikroben untersucht. „Das heißt, man knackt alle Zellen auf und sequenziert sie mithilfe einer speziellen Maschine“, erklärt Philip. Carola ergänzt: „Anschließend kann man sehen, ob der genetische Code für bestimmte Enzyme vorhanden ist, und diese dann gezielt produzieren und untersuchen. Manchmal hat man Glück und findet ein ganz tolles Enzym, das für die Industrie sehr wertvoll ist.“
Alltag der Mikrobiolog:innen erleben
Wer selbst erfahren möchte, wie Mikrobiolog:innen im Labor arbeiten, kann das virtuelle Labor von MikiE besuchen und dort gängige Experimente der Mikrobiologie durchführen. So lernt man, wie die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) funktioniert, eine Methode, die während der Corona-Pandemie berühmt wurde. „Die PCR ist eine der wichtigsten Methoden der letzten 30 Jahre. Jeder, der mit Biologie zu tun hat, wird irgendwann mit PCR arbeiten. Daher war es wichtig, diese Methode zu demonstrieren“, ergänzt Philip.
Die Entwicklung des virtuellen Labors fand Philip sehr interessant und auch herausfordernd: „Ich musste häufig an meine Routine im Labor denken, als ich den Programmierer, der keine Erfahrung im Labor hatte, anleitete, diese Abläufe in einem Programm abzubilden“. Es brauchte viele Interaktionen mit dem Programmierer der Firma Villa Hirschberg Online GmbH, bis das virtuelle Labor entstand: „Ich weiß nicht, wie oft ich das spielen musste, um jeden kleinen Fehler zu entdecken“, erzählt Philip.

Wir mussten uns bremsen, wenn wir zu wissenschaftlich oder zu detailliert vorgingen. Wir mussten erst lernen, wie wir besser für Personen mit wenig Vorwissen in dem Thema kommunizieren können.Dr. Carola Schröder
Sowohl Carola als auch Philip betonen den Kontakt mit der Öffentlichkeit und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Projekten als Stärken der HOOU. MikiE hatte ursprünglich die Studierenden der TU Hamburg als Zielgruppe, jedoch zeigte sich schnell, dass auch fachfremde Personen aus der Gesellschaft Interesse an dem Lernangebot haben: „Wir haben das Projekt einmal in den Bücherhallen präsentiert und festgestellt, dass sich tatsächlich viele Menschen für das Thema interessieren. Deshalb wurde uns schnell klar, dass wir das Lernangebot zugänglicher machen wollten“, erklärt Carola und ergänzt: „Am Anfang brauchten wir etwas Zeit, um uns zurechtzufinden. Wir mussten uns bremsen, wenn wir zu wissenschaftlich oder zu detailliert vorgingen. Wir mussten erst lernen, wie wir besser für Personen mit wenig Vorwissen in dem Thema kommunizieren können“.
Wie man die Gesellschaft besser erreicht
Dabei haben die HOOU-internen Veranstaltungen und der Austausch mit anderen Projekten sehr geholfen: „Es gab regelmäßige HOOU-Veranstaltungen zusammen mit anderen Projekten, wo wir gegenseitig unsere Lernangebote getestet haben. Da waren wir für andere Projekte auch die interessierte Öffentlichkeit ohne Vorkenntnisse. Es war interessant zu sehen, wie andere ihre Lernangebote aufbereiteten. Wir konnten uns gegenseitig Input geben, wie man Inhalte gestalten könnte. Mit jedem Meeting wurde man geübter darin, wie man Informationen verständlich vermittelt und Interesse weckt“, erzählt Carola.
MINT stärker in den Fokus rücken
Philip stimmt Carolas Meinung zu und ergänzt: „Das HOOU-Projekt ist eine gute Möglichkeit, Wissen zu verbreiten und MINT-Fächer stärker in den Fokus zu rücken. Ich finde es wichtig, dass dadurch Wissen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Mit der HOOU kann man Inhalte erstellen, die für jeden zugänglich sind, ohne dass monatliche Gebühren anfallen, wie es bei vielen anderen Programmen der Fall ist.
Über Dr. Carola Schröder

Dr. Carola Schröder ist Biologin mit dem Schwerpunkt Mikrobiologie. Nach ihrem Studium in Göttingen kam sie nach Hamburg, um ihre Promotion am Institut für Technische Mikrobiologie der TU Hamburg durchzuführen. Nach ihrer Promotion leitete sie unter anderem das Projekt MikiE. Heute arbeitet sie in der freien Wirtschaft im Bereich der Prozessentwicklung, insbesondere an der Aufreinigung von Impfstoffen und anderen Therapeutika, die unter anderem mit Mikroben produziert werden.
Über Dr. Philip Busch

Dr. Philip Busch hat Biologie in Bochum studiert und am Institut für Technische Mikrobiologie der TU Hamburg promoviert. Während seiner Zeit an der TU leitete er unter anderem die Entwicklung des virtuellen Labors von MikiE. Heute arbeitet er im Diagnostiklabor des Instituts für Hygiene und Umwelt der Stadt Hamburg, wo er sich mit medizinischer Mikrobiologie beschäftigt. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der HAW Hamburg.