Prof. Dr. Bäßler steht vor historischen Klavieren

Prof. Dr. Bäßler

30.09.2022 | Katrin Schröder

„Innovation entsteht durch Neugier und Dialog“

Die Karriere des renommierten Musikpädagogen Prof. Dr. Hans Bäßler hielt manch unerwartete Wende für ihn bereit. Sich immer wieder auf Neues einzulassen, wurde so zum roten Faden seiner Laufbahn – und diese Herangehensweise prägt auch die HOOU-Lernangebote, die er für die Hochschule für Musik und Theater entwickelt hat. Wir haben ihn anlässlich des Weltmusiktags am 1. Oktober zum Interview gebeten.

Lieber Herr Prof. Dr. Bäßler, wie entstand Ihre Begeisterung für die Musik, insbesondere für die Schulmusik?
Ich bin in einem sehr musikalischen Elternhaus großgeworden. Mein Vater war Augenarzt, wäre aber lieber Pianist geworden. Bis ins hohe Alter hat er gemeinsam mit anderen Kammermusik gespielt. Ich selbst hatte auch Klavierunterricht, war aber nie besonders engagiert. Erst in der Oberstufe hat sich das mit einem Mal geändert: Ich brachte mir autodidaktisch das Orgelspielen bei. Als Schüler und Student verdiente ich mein Geld im Wesentlichen bei Trauungen und Beerdigungen, arbeitete ab 1970 nebenberuflich an der Hauptkirche St. Petri in Hamburg als Organist. Kirchenmusik wurde zu meiner großen Leidenschaft. Mehr oder weniger aus einer Laune heraus absolvierte ich nach meinem Studium der Theologie, Philosophie und Kirchenmusik noch ein Studium der Schulmusik. Als Referendar am Gymnasium Willhöden, das heute Marion-Dönhoff-Gymnasium heißt, erlebte ich dann erstmals, was für ein Geschenk es ist, mit Schüler*innen zusammenzuarbeiten, sie zu unterrichten und von ihnen zu lernen.

Wie hat diese Zeit Ihre spätere Arbeit geprägt?
Bei der Arbeit mit Schülerinnen kommt man nicht drumherum, sich mit der populären Musik auseinanderzusetzen. Und da habe ich entdeckt, dass es dort einen großen Fundus an Nachdenken, an Berührung, an Wünschen und an Trauer gibt. Das wollte ich miteinander verbinden, denn ich glaube, dass man nur so Schülerinnen erreichen kann. Für jeden Menschen kann Musik eine Lebensbedeutsamkeit erlangen, wenn man praktisch mit ihr umgeht. Gleichwohl kann Musik auch dann berühren oder gar betreffen, wenn sie „nur“ hörend rezipiert wird. Damals im Referendariat habe ich mit den Schüler*innen „Pictures at an Exhibition “ von Emerson, Lake and Palmer durchgenommen. Das stieß auf große Begeisterung – zum einen, weil sie nicht damit gerechnet hatten, dass solche Musik auch im Unterricht stattfinden kann, und zum anderen, weil sie sich in ihrem Sosein ernstgenommen fühlten.

Als Sie 1979 Studienleiter am Institut für Praxis und Theorie der Schule in Lübeck wurden, hatten Sie weniger mit Schüler*innen direkt zu tun. Was waren Ihre Aufgaben?
Einer meiner Aufgabenbereiche war die Lehrerfortbildung. Mit gerade mal Anfang 30 lernte ich also gemeinsam mit den Referendar*innen, wie man einen anderen Musikunterricht denken und konkret umsetzen kann. Das war eine großartige Lehrzeit, denn ich war immerzu gezwungen, Innovationen voranzubringen. Wahnsinnig viel Spaß hat es mir damals auch gemacht, jenen Teil der Lehrpläne zu gestalten, der zum sogenannten Schwanz der Stundentafel gehörte, nämlich Musik, Kunst, Hauswirtschaft, technisches Werken und Sport. Während die anderen mich etwas müde belächelten, habe ich gesagt: Das ist doch die Chance, über Fächer, die nicht wirklich ernstgenommen werden, die aber trotzdem den Menschen in irgendeiner Weise betreffen, schulisch Veränderungen zu erreichen.

An der Hochschule für Musik und Theater Hannover übernahmen Sie 1994 den Lehrstuhl für Musikpädagogik. Inwieweit konnten Sie Ihre Ideen dort weiterentwickeln?
Das war zum damaligen Zeitpunkt deutschlandweit der interessanteste Lehrstuhl überhaupt, da experimentelles Arbeiten großgeschrieben wurde. In Kooperation mit Schüler*innen und Studierenden begab ich mich auf Entdeckungsreisen – Entdeckungen voll von Potenzialen, die in der Musik liegen, und Entdeckungen von Methoden, wie diese zu vermitteln sind.

Das klingt spannend – können Sie ein Beispiel nennen?
2009 meldet sich der NDR Hannover bei mir. Die Programmverantwortlichen wollten die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz aufnehmen, und die Produktion sollte in irgendeiner Weise mit Schüler*innen zusammenhängen. Dazu muss man wissen, dass dieses Werk von der Besetzung her eine der umfangreichsten Symphonien überhaupt ist. Damals kamen gerade die Handyfilme auf, und so kamen wir auf die Idee, Schüler*innen im Rahmen eines Wettbewerbs Kurzfilme auf Basis der „Symphonie fantastique“ filmen zu lassen. Elf Studierende sind dann in die Schulen gegangen und haben die Symphonie unterrichtet. Danach konnten die Schüler*innen ihre Filme anfertigen und einreichen. Eine Auswahl wurde dann im großen Sendesaal des NDR vor 1.100 Schüler*innen präsentiert. Anschließend spielte das Orchester die ganze Symphonie – und das war das erste Mal, dass ich ein Schülerkonzert erlebt habe, bei dem alle Schüler*innen mucksmäuschenstill waren. Als der letzte Ton verklungen war, hat der Saal 20 Minuten lang getobt.

Was sagt diese Erfahrung über erfolgreiches Lehren und Lernen aus?
Erstens: Setzt neue Medien im konkreten, praktischen Arbeiten ein. Zweitens: Gängelt Schüler*innen nicht, sondern lasst sie selbst arbeiten, mit einer klaren Vorgabe. Und drittens: Setzt ihnen dabei immer ein konkretes Ziel.

War dieses Projekt für Sie ein Anstoß, neue Medien in die Lehre einzubeziehen?
Genau. Hier ergab sich die Einbeziehung dadurch, dass jeder Schüler ein Handy hat, und auf der Ebene der Studierenden dadurch, dass sie Filmschnitt, Audioschnitt und ähnliches lernen mussten. Seit damals ist das digitale Arbeiten für mich ein konstitutiver Bestandteil des musikpädagogischen Arbeitens überhaupt.

Neben Ihrer Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater haben Sie mehrere Lernangebote für die HOOU entwickelt – was begeistert Sie so daran?
Zum einen reizt es mich immer wieder, dass es keinerlei Vorgaben gibt – man muss immer wieder etwas ganz Neues erschaffen, was in der Musik nicht einfach ist. Zum anderen sollen die Lernangebote auch Menschen aus anderen Fachgebieten und interessierte Laien erreichen. Das erfordert ein gewisses Um- und Weiterdenken, das mir große Freude bereitet.

Wie kommen Sie immer wieder auf neue Ideen?
Ich habe in meinem Leben immer auf vorbehaltlosen Dialog gesetzt. Ich probiere Neues aus und reagiere auf die Reaktion. So entsteht Innovation. Dabei kommt mir sicherlich zugute, dass ich von Natur aus neugierig bin auf andere. Und ich habe keine Angst vor Unbekanntem, denn das Bedürfnis, sich gegen Neues abzuschotten – sei es im musikalischen oder im technologischen Bereich – resultiert ja aus Angst. Und das ist im ästhetischen Bereich besonders schlimm, denn da geht es immer um Geschmacksfragen. Deshalb meine ich, dass man trotz aller Unterschiede Wege finden muss, in einen Dialog zu kommen. Denn was verbindet uns als Menschen miteinander? Das sind bestimmte Grundfragen der Existenz. Das ist die Frage von Angst, von Freude, von Sehnsucht, von Hoffnung, von Enttäuschung. Und diese Phänomene finden sich alle in der Musik wieder.

Die Lernangebote von Prof. Dr. Hans Bäßler auf der HOUU-Plattform
Musik 2050 – Apps im Musikunterricht von Prof. Dr. Hans Bäßler undTorsten Allwardt
Songwriting – Apps im Musikunterricht von Prof. Dr. Hans Bäßler und Ole Oltmann
Arrangieren für das Klassenmusizieren von Prof. Dr. Hans Bäßler, Henning Hansen und Dennis Bischoff
Inklusion in der Musikpädagogik von Prof. Dr. Hans Bäßler, Michael Huhn und Dr. Björn Tischler

Weitere Lernangebote folgen bald:
• Historische Klaviere
• Quellengestützte Techniken der Historischen Aufführungspraxis
• Innovative Impulse der HfMT Hamburg für die Musikpädagogik zwischen 1968 und 1975
• Piano Keyboards – Hardware 19 trifft Software 21