Bild: Antonio Janeski
28.11.2025 | Meena Stavesand
Hochschulbildung für alle – aber wie? 5 Learnings aus der Praxis
Wie erreicht man Menschen, die nicht an der Uni sind, mit wissenschaftlichen Inhalten? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Seit 10 Jahren engagiert sich die Hamburg Open Online University in diesem Bereich und hat schon viel dazugelernt. Das Team der TU Hamburg gibt nun 5 Learnings dazu. Es geht um die gesellschaftliche Relevanz von Themen, um das Überwinden digitaler Barrieren und um Öffentlichkeitsarbeit. Ein Text von Katrin Bock.
Hochschulen nehmen als Orte der Wissensvermittlung, der Erkenntnisbildung und der Reflexion eine wichtige gesellschaftliche Rolle ein. Es ist jedoch nicht einfach, diese Prozesse für alle sichtbar und zugänglich zu machen. Gesellschaftliche Teilhabe an der Hochschulbildung wird durch viele Barrieren erschwert. Um diese zu überwinden, setzt die HOOU auf die Bereitstellung digitaler Lernangebote auf einer offenen und freien Lernplattform. Die interessierte Öffentlichkeit soll so, gebündelt an einem ansprechenden digitalen Ort, Zugang zu vielfältigen Inhalten aus Forschung und Lehre an den Hochschulen erhalten.
Doch die interessierte Öffentlichkeit ist divers. Lernende bringen unterschiedliche Kompetenzen und Kenntnisse mit, kommen aus verschiedensten Kontexten, haben unterschiedliche Motivationen und lernen auf ganz unterschiedliche Weise. Das Team der HOOU@TU Hamburg versucht, dies bei der Entwicklung digitaler Lernangebote zu berücksichtigen, und möchte möglichst vielen Menschen Zugang zu ihren Inhalten ermöglichen. So konnte das Team aus den vergangenen zehn Jahren Lernangebotsentwicklung einige Learnings mitnehmen:
1. Gesellschaftliche Relevanz als inhaltlicher Ausgangspunkt für wissenschaftliche Themen kann Barrieren überwinden
Um Verständnisbarrieren bei wissenschaftlichen und abstrakten Themen zu überwinden, kann die gesellschaftliche Relevanz als niedrigschwelliger Einstieg Zugänge ermöglichen. Denn zu lernen, warum ein Sachverhalt wichtig ist und was dieser mit der eigenen Lebenswelt zu tun hat, fördert die Motivation und Fähigkeit, diesen zu verstehen.
Dabei können auch mentale Hürden, die entstehen können, wenn wissenschaftliche Inhalte durch ihre Komplexität als nicht passend wahrgenommen werden, verkleinert werden.
2. Kleine, leicht verständliche Wissenshäppchen für einen niedrigschwelligen Einstieg ins Lernen
Neben den eher umfangreicheren Lernangeboten, in denen sich die Lernenden intensiv mit verschiedenen Themen beschäftigen, setzt die HOOU an der TU Hamburg auch auf das Format „Wissenschaft kurz erklärt“. In kleinen Informationsangeboten werden Inhalte leicht verständlich aufbereitet und ermöglichen so einen ansprechenden und vor allem schnellen Zugang zu Wissen.
Diese Angebote lassen sich in sehr kurzer Zeit durcharbeiten. Dafür werden verschiedene Medien eingesetzt. Mit kurzen Videos und Podcasts oder interaktiven Grafiken werden die Inhalte auf verschiedene Weise vermittelt. Wer dann doch tiefer in die jeweiligen Themen einsteigen möchte, erhält Vorschläge für passende umfangreichere Lernangebote.

Was bedeutet “Bildung für alle“?<br>Grundsätzlich geht es darum, dass alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung erhalten. Dabei sollen allen die gleichen Möglichkeiten offenstehen, selbstbestimmt an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potentiale zu entfalten, unabhängig ihrer Voraussetzungen oder bestimmter Bedingungen. Systematische Ungleichheiten oder Benachteiligungen müssen dabei im Sinne der Chancengleichheit verhindert werden (vgl. UNESCO, 2005).
3. Lernangebotsentwicklung nach dem Constructive Alignment zur Lernendenzentrierung
Die Grundlage der Lernangebotsentwicklung der HOOU an der TU Hamburg bilden, angelehnt an das Konzept des Constructive Alignment, die Lernziele (vgl. Biggs &Tang, 2011). Diese sind, unabhängig von technischen Möglichkeiten oder neusten Trends, der Startpunkt für die inhaltliche Gestaltung und Entwicklung der Lehr- und Lernaktivitäten.
Die Angebote werden in einem ersten Schritt rein konzeptionell entwickelt, erst in einem zweiten Schritt werden passende mediendidaktische Formate und technische Tools für die Umsetzung ausgewählt. Eine solche unabhängige Ausrichtung auf die Lernenden kann dabei helfen, Verständnisbarrieren für diese zu überwinden und verhindert ein Überangebot an technischen Tools, welches die Lernenden überfordern kann.
Eine gezielte und bedürfnisorientierte Auswahl der technischen Möglichkeiten unterstützt außerdem die Überwindung digitaler Barrieren, indem eine intuitive und individuell anpassbare Nutzung des Lernangebotes gefördert wird.
4. Experimentierfelder für neue technische Möglichkeiten zur Überwindung digitaler Barrieren
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat die HOOU an der TU Hamburg im Rahmen von Experimentierfeldern verschiedene technische Möglichkeiten ausprobiert und evaluiert. Eine große Herausforderung war und ist dabei die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven. Im Rahmen eines umfangreichen Anforderungsmanagements für die Plattformentwicklung werden diese identifiziert, um technische Anforderungen zu entwickeln und zu priorisieren.
Denn ebenso wie die Technik entwickeln sich auch die Bedarfe der Menschen weiter. Um Barrieren zu überwinden und Zugänge zu schaffen, wird dies immer zusammen gedacht. Dadurch konnten bereits viele Potenziale sowie auch Probleme identifiziert und für die neue Plattform implementiert oder ausgeschlossen werden.
5. Digitale Lernangebote allein schaffen nicht ausreichend Zugänge
Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren haben eindeutig gezeigt: Eine öffentliche Plattform als alleiniger Zugangspunkt zu digitalen Lernangeboten reicht oft nicht aus, um alle Menschen zu erreichen. Dies liegt vor allem an der Fülle an Informationen, die im Netz zu finden sind, und der Art und Weise, wie Menschen sich dort informieren und lernen.
So ist es wichtig, Lernangebote kontextuell einzubetten, um Zugangsmöglichkeiten zu erweitern. Dies kann eine zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsarbeit sein, durch die Lernende beispielsweise über Social Media oder durch Plakate zu Inhalten gelangen. Aber auch Lernerlebnisse in der analogen Welt schaffen Zugänge, indem sie Menschen vor Ort abholen und verbinden. Dies versucht die HOOU an der TU Hamburg über verschiedene Veranstaltungsformate, auch außerhalb der Hochschulen, aber auch durch die Einbindung ihrer Inhalte in die Lehre.
Welche Barrieren kann es für den Zugang zur Hochschulbildung geben?
Die Art der Barrieren, die Menschen beim Zugang zu Hochschulbildung begegnen, sind vielfältig. Hier einige Beispiele, die besonders häufig auftreten:
Informationsbarrieren: Was passiert an unseren Hochschulen in Forschung und Lehre? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen sind leider nicht immer leicht zu finden. Informationen von Hochschulen verstecken sich oft – wenn sie überhaupt öffentlich zugänglich sind – auf unübersichtlichen Hochschul- oder Projektwebseiten. Inhalte sind nicht selten schlecht gepflegt und veraltet, was das Finden der richtigen Informationen zusätzlich erschwert.
Sprach- und Verständnisbarrieren: Nicht alle können etwas mit wissenschaftlicher Sprache anfangen. Viele Fremdwörter und komplexe Satzstrukturen setzen eine hohe Sprach- und Lesekompetenz voraus und sorgen dafür, dass viele Menschen diese nicht verstehen können oder durch einen erschwerten Lesefluss kein Interesse an akademischen Texten haben. Viele Texte stehen nur in einer Sprache zur Verfügung, sodass Zugänge zusätzlich beschränkt sind.
Digitale Barrieren: Trotz gesetzlicher Vorschriften und Regelungen sind viele Webseiten im Hochschulkontext nicht barrierefrei. Durch fehlende technische Möglichkeiten zur bedürfnisorientierten Gestaltung und einer unzureichenden Usability kann eine intuitive und individuelle Nutzung der Webinhalte nicht gewährleistet werden.
Mentale Barrieren: Hochschulen haben es in Zeiten von Fake News, Nachrichtenmüdigkeit und diversen Krisen nicht leicht, die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Vielen Menschen fehlt es an Vertrauen in die Wissenschaft oder sie fühlen sich durch hierarchische Strukturen im Sinne eines „von oben herab“ nicht adressiert.
Der lange Weg zu einem niederschwelligen Zugang
Die Lernangebote der HOOU an der TU Hamburg können also durch eine lernzielorientierte, didaktische Konzeptionierung und den passenden Einsatz technischer Möglichkeiten Zugänge zur Hochschulbildung ermöglichen. In Verbindung mit zielgruppengerechter Öffentlichkeitsarbeit und gemeinsamen Lernerlebnissen in der Öffentlichkeit werden diese Zugänge ausgeweitet.
Durch die offene und ansprechende HOOU Lernplattform, die neben den digitalen Lernangeboten weitere Inhalte zu gesellschaftlich relevanten Themen in verschiedenen Formaten niedrigschwellig zur Verfügung stellt, werden Barrieren überwunden. Trotz dieser Potenziale ist es jedoch noch ein weiter Weg für die HOOU, Hochschulbildung wirklich frei zugänglich für alle Menschen zu machen. Viele Inhalte der HOOU stehen nicht mehrsprachig zur Verfügung und sind thematisch sehr spezifisch.
Die Plattform an sich ist noch nicht komplett barrierefrei, hier gibt es vor allem technisch noch viel Entwicklungsbedarf. Zugänglichkeit ist kein irgendwann abgeschlossener Zustand, sondern ein Prozess, den die HOOU stetig versucht, weiter voranzutreiben. Für die HOOU an der TU Hamburg heißt dies also auch für die nächsten zehn Jahre, mehr Zugänge zu ermöglichen, damit Bildung für alle wirklich irgendwann Bildung für alle ist. Wir freuen uns darauf, unsere Learnings dafür weiter auszubauen!
Literatur
Biggs J. & Tang, C. (2011). Teaching for Quality Learning at University: What the Student Does (4. Aufl.): Maidenhead: Open University Press.
UNESCO (Hrsg.).(2005).Guidelines for inclusion: ensuring access to education for all. Paris: UNESCO.