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07.10.2025 | Meena Stavesand
Zukunft der Bildung: Warum wir trotz KI weiter lernen müssen
ChatGPT liefert eine aufwendige Recherche in Sekunden, erklärt mathematische Formeln auf simple Weise, löst schwierige Aufgaben verständlich. Wozu brauchen wir dann noch Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen? Wozu müssen wir überhaupt noch lernen? Zukunftsforscher Max Irmer zeigt, wie KI unser Lernen verändern könnte und warum wir die Zukunft der Bildung neu denken sollten.
Max Irmer ist Zukunftsforscher. Er berät Organisationen dabei, wie die Welt in 10 oder 15 Jahren aussehen könnte. Im Oktober und November leitet er an der HAW Hamburg das HOOU Spekulations-Labor – einen dreiteiligen Workshop, in dem die Teilnehmenden die Zukunft der Bildung nicht nur durchdenken, sondern greifbar machen: mit spekulativem Design, Design Fiction und KI-Tools.
Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie künstliche Intelligenz unser Lernen verändert, warum wir trotzdem noch Wissenschaftler:innen und Lehrkräfte brauchen, und warum es sich lohnt, über eine „Zukunft ohne Lernen“ zu spekulieren.
Wir leben in Zeiten von KI und bekommen Unmengen an Wissen in Sekundenschnelle. Wie beeinflusst das unser Verständnis von Lernen?
Diese Diskussion führen wir gerade intensiv – zu Recht. Denn nicht alles, was wir sehen, ist positiv. Die Metapher „Wissen in Sekundenschnelle“ stimmt, aber wir müssen auch fragen: Was meinen wir mit Wissen? Ich kann heute schnell herausfinden, wann welcher Krieg stattfand. Aber das Wissen, das für unsere Zeit relevant ist, ist vor allem Transferwissen, das verschiedene Themenbereiche verbindet.
Die KI-Tools werden besser, können uns aber nicht immer das perfekte Wissen liefern. Ich denke, die Zukunft des Lernens entwickelt sich dahin, dass wir schneller recherchieren, und im besten Fall schafft das Freiraum: Wir verstehen Zusammenhänge besser und bilden uns eine eigene Perspektive. KI-gestützt, aber nicht KI-vorgegeben.
Als problematisch empfinde ich, dass KI-Programme uns vorgaukeln, sie würden uns alles Wissen geben, und wir müssten nicht mehr selbst denken. Die Zukunft kann sehr schön werden, sie kann dadurch aber auch schwierig werden, wenn wir so tun, als würden wir in wenigen Sekunden ein tolles Ergebnis liefern, aber eigentlich steht nichts da.
Warum sollten wir noch selbst aktiv lernen oder als Wissenschaftler:in oder Lehrkraft weiterarbeiten?
Wir brauchen unabhängige Instanzen, die Tools nutzen, aber selbst denken und hinterfragen, was aus einer Maschine kommt. Beim Lernen geht es stark um Identitätsbildung: Wer bin ich? Was kann ich? Ein Beispiel: Fremdsprachen lerne ich nicht gerne, darum freue mich auf eine Zukunft mit Echtzeit-Übersetzungen via Kopfhörer. Das bringt Vorteile, aber der kultureller Bezug einer Sprache wird weniger, und das ist schade, weil Gesprochenes mehr transportiert als reine Information.
Lernen bleibt wichtig, um zu differenzieren. Wir können KI legitim nutzen. Die Fragen sind allerdings: Wie, in welchem Umfang und wofür? Vokabeltraining kann KI-gestützt mehr Spaß machen als im alten Lehrbuch. Aber für andere Sachen ist analoges Lernen wichtiger – wenn es zum Beispiel darum geht, selber Dinge zu erfahren.
Wenn du einen Wunsch hättest: Wie sieht die Zukunft der Bildung aus?
Ich hoffe, dass wir die Dinge beibehalten, die gut funktionieren, und uns gleichzeitig neuere Entwicklungen zu eigen machen. Nicht nur Technologie, sondern auch die Frage: Braucht es noch Vorlesungen oder Frontalbeschallung? Braucht es klassische Hörsäle?
Ich wünsche mir, dass KI als Unterstützerin fungiert – eine, die sich ans individuelle Lernniveau anpasst, schneller oder spezifischer erklärt, in einer Sprache spricht, die ich verstehe.
Mein Wunsch: Wir hinterfragen kritisch und übernehmen, was Sinn ergibt. Wir dürfen uns aber nicht dem kapitalistischen Gedanken hingeben, sonst unterwerfen wir Wissen und Lernen dem System. Das ist nicht gut.
An der HAW Hamburg leitest du als Zukunftsforscher einen dreiteiligen Workshop, das HOOU-Spekulations-Labor. Was machen Zukunftsforscher:innen genau? Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Ich mache eine Mischung aus Zukunftsforschung und Foresight – also strategischer Vorausschau. Die Disziplin erforscht Zukünfte. Niemand hat eine Glaskugel, aber es gibt methodische Ansätze, wie man Zukünfte greifbar macht. Denn – und das sollte uns Zuversicht geben: Die Zukunft ist gestaltbar. Darum berate ich Institutionen zu der Frage, wie die Welt in 10, 15 Jahren aussehen könnte. Dafür nutze ich Methoden wie Trends, Szenarien, Speculative Design und Design Fiction. Damit machen wir Zukünfte greifbar, verständlich, erfahrbar und eben gestaltbar.
Die UNESCO spricht in dem Zusammenhang von Futures Literacy – der Kompetenz, Zukünfte lesen und bearbeiten zu können. Das befähigt uns, Zukunft aktiv zu gestalten und dem Dystopischen etwas entgegenzusetzen.
Du hast Methoden angesprochen, die im Spekulations-Labor vorkommen. Was passiert da genau?
Es geht um die Zukunft der Bildung beziehungsweise die Zukunft des Lernens. Dafür nutzen wir verschiedene Methoden. Wir inszenieren ein Labor und spekulieren. Das heißt, wir überlegen uns, wie die Zukunft des Lernens und der Bildung aussehen könnte. Das klingt einfach, aber wir machen das als Menschen ganz selten aktiv. Mit den richtigen Methoden gelingt das deutlich fundierter.
Wir greifen also auf Spekulationsmethoden zurück – dem Speculative Design und Design Fiction. Die Idee: Wir geben uns bewusst einen Raum, wo die Teilnehmenden die ganze Zeit in Zukünften denken, sich alternative Entwicklungen anschauen und das in eine Form gießen. Aus diesem abstrakten Denken entstehen spekulative Artefakte.

HOOU Spekulations-Labor: Zukunft ohne Lernen? Lernen ohne Zukunft?<br>Worum geht’s? Wir entwerfen spekulative Bildungszukünfte – mit Design Fiction, KI-Tools und kreativen Methoden. Wie könnte Lernen in zehn Jahren aussehen? Wir denken nicht nur nach, sondern basteln Zukunftsartefakte.<br><br>Drei Workshop-Termine:<br>- Teil 1: Einführung Speculative Design (Online)<br>Dienstag, 14. Oktober 2025 | 09:30–11:30 Uhr<br>- Teil 2: Design-Fiction-Workshop (Präsenz)<br>Dienstag, 4. November 2025 | 09:30–16:00 Uhr<br>- Teil 3: KI-Labor – Zukunftsartefakte gestalten (Präsenz)<br>Dienstag, 18. November 2025 | 09:30–16:00 Uhr<br><br>Für wen? Alle, die sich für Bildung, Wissenschaft und Zukunft interessieren – keine Vorkenntnisse nötig. Hochschulangehörige, Lehrende, Promovierende und die breite Öffentlichkeit sind willkommen.
Was könnte das beispielsweise sein?
Ich sage bewusst nichts, weil ich den Teilnehmenden sonst etwas vorgeben würde. Sie sollen mit ihren eigenen Gedanken reinkommen. Wir schauen uns beispielsweise Hollywoodfilme an, weil die mit spekulativem Design arbeiten. Etwa „Minority Report“ von Steven Spielberg – der Film zeigt eine Zukunftswelt mit vielen Prototypen, die diese komplexe Zukunft greifbar machen.
Wir stellen uns Fragen wie: Wie lerne ich? Gehe ich noch in die Universität? Und wie komme ich dahin? Nehme ich den Bus, ein Flugtaxi? Wir versuchen, unseren Gedanken in Artefakten eine Form zu geben. Wir prototypisieren. Oder anders gesagt: Wir basteln konkret an Ideen.
Danach greifen wir auf KI-Tools zurück, um diese kennenzulernen und zu schauen: Was können die? Was können die nicht? Was ist kritisch daran?
Ihr titelt „Zukunft ohne Lernen? Lernen ohne Zukunft?“ Wie seid ihr darauf gekommen? Warum ist es sinnvoll, so an das Thema ranzugehen?
Der Titel ist provokativ. Bestenfalls reagieren Menschen darauf und sagen: Nee, das sehe ich nicht. Dann will ich wissen: Warum nicht? Und damit kommen wir in die Diskussion.
Was ich vorwegnehmen kann: Eine Zukunft ohne Lernen sehe ich persönlich nicht. Ich bin sehr gespannt, was die Teilnehmenden sagen. Ich hoffe, wir gehen mit einem anderen Titel als wir reingegangen sind. Aber das hängt ganz von den Teilnehmenden ab, von ihren Gedanken und dem, was sie sich vorstellen können und für plausibel halten.
Für wen ist der Workshop gedacht? Nur für Didaktiker:innen und für Wissenschaftler:innen oder auch für Menschen, die sich einfach für das Thema interessieren?
Alle sind herzlich willkommen. Die Mischung macht’s. Ich wünsche mir, dass nicht nur Menschen mit Wissenschaftshintergrund kommen, nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, nicht nur Studierende, sondern Menschen aus verschiedenen Ecken. Das macht den Diskurs und den Perspektivenwechsel spannender. Es gibt keine Einstiegshürden.
Oft gibt es leider eine Hürde, wenn es um Angebote von Hochschulen geht. Viele denken, sie gehörten als Nicht-Akademiker:innen da nicht hin.
Absolut. Aber man muss irgendwo anfangen. Ich bin gespannt, wie die Zukunft der Bildung diese Einstiegshürden abbaut. KI-gestützte Angebote können individualisierte Lerninhalte bringen. Wenn ein Bot mir morgens sagt „Hey, dieses Angebot ist umsonst, da könntest du hingehen“, dann ist es vielleicht spannend genug.
Ich hoffe, dass uns Technologie hilft, solchen positiven Bildern näherzukommen. Wir brauchen positive Zukunftsbilder. Dafür lohnt es sich, zum Workshop zu kommen und diese zu erarbeiten, zu entwickeln, zu basteln.
Hier geht es zur Anmeldung für das HOOU Spekulations-Labor.
Über Max Irmer

Max Irmer ist Zukunftsforscher und baut Brücken zwischen der Gegenwart und der Zukunft, der alten und der neuen Welt und zwischen Analogem und Digitalem. Dafür bedient er sich Ansätzen, Methoden und Tools aus den Bereichen Foresight, Experience Design und Transformationsmanagement. Max glaubt daran, dass wir die Zukunft nur gestalten können, wenn wir sie greifbar und erlebbar machen. Folglich versucht er den Zukunftsdiskurs überall wo möglich zu stimulieren.