11.12.2024 | Meena Stavesand
Wer bringt was wohin? Die erstaunliche Logistik hinter unseren Paketen und Produkten
Ob Online-Shopping oder volle Supermarktregale – ohne moderne Logistik läuft nichts mehr in unserer globalisierten Welt. Logistische Prozesse stecken in jeder Paketlieferung und hinter jedem verfügbaren Produkt. Doch die Branche steht vor Veränderungen: Nachhaltigkeit wird immer wichtiger, neue Technologien wie künstliche Intelligenz revolutionieren die Abläufe. Wie funktioniert dieses komplexe System eigentlich und vor welchen Herausforderungen steht es in Zeiten von Klimawandel und Digitalisierung?
Wir haben mit Prof. Dr. Heike Flämig, Professorin für Transportketten und Logistik an der Technischen Universität Hamburg, und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Ineke Jäger über die Definition von Logistik und die Herausforderungen der Branche gesprochen. Außerdem wagen wir einen Blick in die Zukunft. Doch wie sieht eigentlich eine ideale Lieferkette aus? Das erfahren Interessierte in dem passenden englischsprachigen Lernangebot „MoGoLo“ der TU Hamburg.
Was ist Logistik und wo kann man sie erleben?
Logistik umfasst die Planung, Steuerung, Kontrolle und Durchführung aller materiellen, energetischen und informationsbezogenen Abläufe, die nötig sind, um ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Dabei berücksichtigt sie wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele.
Logistik findet an vielen verschiedenen Orten statt, die durch feste oder bewegliche Knotenpunkte miteinander verbunden sind: Im Einzelhandel steuert sie die Lieferketten, damit die Regale gefüllt bleiben. Bei Paketdiensten kümmert sie sich um die Paketbearbeitung, Touren- und Routenplanung sowie um die Sendungsverfolgung. In Produktionsbetrieben sorgt sie dafür, dass alle benötigten Materialien in den Fabriken bereitstehen, um die Produkte zu fertigen.
An Flughäfen und Häfen wird internationale Logistik bei der Abfertigung von Gepäck, Fracht und der Organisation von Zollprozessen sichtbar. Im Gesundheitswesen gewährleistet sie die zuverlässige Lieferung von Medikamenten und Geräten. Als Nachschubwesen ist sie im Militär unverzichtbar. In Krisensituationen ist Logistik entscheidend für die schnelle Verteilung von Hilfsgütern und die Koordination von Rettungseinsätzen.
Warum ist eine gut funktionierende Mobilität von Gütern in unserer Gesellschaft so entscheidend?
Eine gut funktionierende Gütermobilität macht erst eine effiziente räumliche Arbeitsteilung möglich. Besonders die internationale Logistik ist wichtig für den wirtschaftlichen Wohlstand. Sie stellt sicher, dass die Materialien (Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe) und Produkte zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, um wettbewerbsfähig wirtschaften zu können. Verlässliche Lieferketten sind Voraussetzung, um die Kundenerwartungen zu erfüllen. Sie sichert die Versorgung, indem Waren des täglichen Bedarfs jederzeit verfügbar sind. Gleichzeitig kümmert sie sich um die Entsorgung bis hin zur Kreislaufwirtschaft.
Globalisierung und wirtschaftliche Vielfalt durch internationalen Handel wären ohne funktionierende Gütermobilität nicht möglich. Technischer Fortschritt und Innovationen verbessern die Logistiksysteme oder führen zu neuen Lösungen. Zudem trägt gut geplante Logistik dazu bei, vor allem die Umweltbelastung durch den Güterverkehr zu minimieren und damit nachhaltiger zu werden.
MoGoLo - Mobility of Goods and Logistics Systems
The sections of „MoGoLo“ (Mobility of Goods and Logistics Systems) are dealing with the different transport systems road, rail, inland waterway, waterway and air such as the sustainable dimensions of goods movement.
Was sind die besonderen Herausforderungen, wenn unterschiedliche Verkehrsträger wie Straße, Schiene, Wasser und Luft kombiniert werden?
Die Kombination verschiedener Verkehrsträger bringt Herausforderungen beim Management der Übergangspunkte mit sich, da der Wechsel der Güter zwischen den Transportmitteln reibungslos erfolgen muss, um Verzögerungen oder Verluste zu vermeiden. Die Planung ist komplex, da optimale Routen und Zeitpläne unter Berücksichtigung der Kosten entwickelt werden müssen, die auch flexibel genug sind, um auf unerwartete Ereignisse zu reagieren.
Jeder Verkehrsträger hat seine eigene spezielle Infrastruktur und Ausstattung, wie Schienennetze, Häfen oder Terminals. Da sehr spezielles Fachwissen erforderlich ist, müssen die einzelnen Verkehrsträger bei Entwicklung, Wartung und Betrieb eng zusammenarbeiten.
Hinzu kommen unterschiedliche Vorschriften bei den Verkehrsträgern, etwa hinsichtlich Sicherheits- oder Umweltauflagen, die bei kombinierten Transporten beachtet werden müssen. Nachhaltigkeitsaspekte erfordern strategische Überlegungen, wie die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsträger ohne Verringerung des Servicelevels realisiert werden können. Bisher sind die IT- und Informationssysteme wenig miteinander vernetzt, so dass eine hohe Transparenz entlang der gesamten intermodalen Lieferkette nur durch eine intensive Zusammenarbeit möglich ist.
Wo gibt es im aktuellen System Verbesserungen und wie sehen Innovationen aus?
Digitale Technologien wie künstliche Intelligenz und das Internet of Things (IoT) verbessern die Logistik durch genauere Vorhersagen und optimierte Routen- und Tourenplanung, was zu schnelleren und kostengünstigeren Abläufen führt. Die optimierten und automatisierten Prozesse erleichtern die Arbeit und füllen Lücken, beispielsweise wenn nicht genügend Fahrpersonal verfügbar ist.
Nachhaltige Transportlösungen umfassen den Einsatz von Elektrolastwagen und alternativen Kraftstoffen und verringern die Umweltbelastung des Transports. Über digitale Plattformen können Unternehmen ihre Logistikressourcen effizienter teilen, und eine gemeinsame Nutzung verbessert die Auslastung der Transportmittel.
Automatisierte Umschlagssysteme an Knotenpunkten oder auch die digitale Kupplung zwischen Fahrzeugen auf der Bahn oder der Straße erhöhen die Effizienz, indem sie den Übergang zwischen Verkehrsträgern beschleunigen.
Die Echtzeit-Überwachung von Gütern steigert die Transparenz in der Lieferkette und ermöglicht schnellere Reaktionen auf Störungen. Die beste Logistik findet nicht statt – so bietet der Einsatz von moderner Fertigung und 3D-Druck die Möglichkeit, Produkte näher am Endverbraucher herzustellen und lange Transportwege zu vermeiden. Schließlich erlauben anpassungsfähige Logistikketten durch agile Managementmethoden eine flexible Anpassung an veränderte Marktbedingungen oder unerwartete Ereignisse und machen sie widerstandsfähiger.
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Über 20 Prozent der Treibhausgase entstehen durch Transporte.
Welche Rolle spielen Klimawandel und Nachhaltigkeit?
Der Klimawandel und die Notwendigkeit nachhaltiger Praktiken sind für die Logistik sehr wichtig. Über 20 Prozent der Treibhausgase entstehen durch Transporte. Die Folgen des Klimawandels, wie Überflutungen oder Stürme, führen zu Beeinträchtigungen oder sogar Ausfällen von Teilen der Verkehrssysteme. Deshalb überprüfen Unternehmen ihre Lieferketten auf Widerstandsfähigkeit sowie Umwelt- und Umfeldverträglichkeit. Durch die Pflicht zur Berichterstattung steigt besonders der Druck auf transportintensive Branchen, nach Alternativen zu suchen.
Verschärfte Umweltvorschriften weltweit bewegen Firmen dazu, ihre Umweltbelastung zu minimieren und umweltverträgliche Technologien einzuführen, wie zum Beispiel kürzere Lieferketten und umweltfreundliche Verpackungen. Diese Anforderungen fördern Innovationen und Investitionen in erneuerbare Energien und effiziente Transport-, Umschlags- und Lagertechnologien. Nachhaltige Logistik zielt darauf ab, mit Ressourcen sparsam umzugehen, Abfall zu minimieren und die Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.
Blick zurück: Welche Rolle spielten bei der Logistik gesellschaftsverändernde Phänomene wie das Internet im Vergleich zu einer Zeit ohne Amazon, Temu und Co.?
Die Logistik wurde durch viele gesellschaftliche Veränderungen geprägt, vor allem durch einen Wandel in der Wahrnehmung. Früher sind erst durch Handel und Logistik Städte entstanden. In den 1990er Jahren wurde die Logistik zunehmend aus den Ballungsräumen verdrängt, um die negativen Folgen für Mensch und Umwelt auszulagern. Dabei wurde kaum beachtet, dass letztlich jeder Standort ver- und entsorgt werden muss.
Mit dem Einzug des Internets in jeden Haushalt wurde der direkte Verkauf von Produkten an Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich einfacher. Der sich wandelnde Umgang in der Gesellschaft mit Zeit beeinflusst auch die Logistik stark. Der Zeitwettbewerb führte zu höheren Kundenerwartungen an schnelle Lieferungen und genaue Zustellinformationen. Dies wirft auch die Frage nach logistischen Standorten neu auf. Um sehr kurze Lieferzeiten bei gleichzeitig steigenden Umweltauflagen gewährleisten zu können, werden nun wieder logistische Knoten, meist in kleinerem Maßstab, in den Ballungsräumen aufgebaut.
Gleichzeitig verschwanden räumliche Grenzen. Wie Menschen sind auch Güter inzwischen weltweit unterwegs. Der Online-Handel macht dies einfacher.
Durch verstärkte Automatisierung und datengestützte Entscheidungsfindung wird die Effizienz der Logistiksysteme gesteigert. Auf die Individualisierung der Gesellschaft reagieren Unternehmen mit personifizierten Angeboten und einfachen Rückgabeprozessen. Dafür sind erhebliche Anpassungen der logistischen Prozesse nötig, um die so genannte „Customer Journey“ nahtlos zu gewährleisten.
Um wirklich zukunftsfähig zu werden, müssen wir heute in die Infrastruktur für digitale und automatisierte Technologien investieren, die selbstständige Prozesse ermöglichen, die Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte vorantreiben und vor allem Umweltschutz in die Unternehmensstrategien einbauen.Prof. Dr. Heike Flämig, Technische Universität Hamburg
Blick in die Zukunft: Wie könnte die Logistik in 20 Jahren aussehen und welche Herausforderungen sollten wir heute schon angehen, um zukunftsfähig zu sein?
In 20 Jahren könnte die Logistik durch den technischen Fortschritt noch stärker automatisiert und digitalisiert sein. Es könnte vollautomatische Läger mit effizientem Warenumschlag geben, mit selbstfahrenden Fahrzeugen und Drohnen für den Gütertransport je nach Einsatzgebiet. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen könnten Prozesse in Echtzeit verbessern und Nachfrageschwankungen genauer vorhersagen.
Nachhaltige Technologien werden noch wichtiger werden, wobei besonders der emissionsfreie Elektroantrieb eine zentrale Rolle spielen wird. Die Bauweise der Transport-, Umschlags- und Lagertechnik folgt schon jetzt oft dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft für eine effiziente Ressourcennutzung – zum Beispiel bei den Gabelstaplern.
Um wirklich zukunftsfähig zu werden, müssen wir heute in die Infrastruktur für digitale und automatisierte Technologien investieren, die selbstständige Prozesse ermöglichen, die Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte vorantreiben und vor allem Umweltschutz in die Unternehmensstrategien einbauen. Wichtig ist auch, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten durch kollaborative und agile Managementmethoden zu stärken, um auf globale Krisen besser reagieren zu können.
Ihr habt das Lernangebot „MoGoLo“ umgesetzt, von dem es nun eine Neuveröffentlichung gibt. Was kann ich mit „MoGoLo“ lernen?
Das Lernangebot MoGoLo (ausgeschrieben „Mobility of Goods and Logistics“) besteht aus drei wichtigen Bereichen. Der erste Teil „Global Supply Chain and Logistics“ bietet eine grundlegende Einführung in das Thema und erklärt die wichtigsten Begriffe. Darauf folgt der Teil „Conceptual System Model of Transport and Traffic“, der als Grundlage für die nächsten fünf Kapitel dient, die sich mit verschiedenen Transportsystemen befassen.
Die Kapitel über „Road, Rail, Inland Waterway, Maritime und Air Transport System“ können entweder in der vorgeschlagenen Reihenfolge oder einzeln durchgearbeitet werden. Jedes Transportsystem wird einheitlich dargestellt und mit den zuvor erklärten Elementen des Systemmodells veranschaulicht.
Der letzte Teil „Sustainable Dimensions in Goods Movement“ beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit im Güterverkehr und zeigt, wie man die negativen Umweltauswirkungen des Transports verringern kann. Dabei wird Nachhaltigkeit nicht nur anhand des Drei-Säulen-Modells erklärt, sondern auch die wichtige vierte Dimension von Kultur und Werten eingeführt. Anhand der Struktur des Systemmodells, seiner Elemente und Beziehungen wird deren Einfluss auf die ökologische Nachhaltigkeit genauer untersucht.
Insgesamt bietet das Lernangebot eine umfassende Einführung in die Logistik mit Fokus auf verschiedene Transportsysteme und wichtige Nachhaltigkeitsaspekte.
Über Prof. Dr. Heike Flämig und Ineke Jäger
Pro. Dr.-Ing. Heike Flämig hat die Professur für Transportketten und Logistik an der Technischen Universität Hamburg. Sie ist Sprecherin des TUHH – Forschungsschwerpunkts „Logistics Management and Technology“.
Ineke Jäger ist seit 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Hamburg tätig und betreut das Lernangebot MoGoLo. Außerdem ist sie in weiteren Projekten aktiv die sich mit der Implementierung neuer Logistikkonzepte und deren Wirkungen auf die Nachhaltigkeit befassen.